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Äthiopien: Beten wir für Frieden und Entwicklung

Immer wieder erhebt Papst Franziskus seine Stimme und ruft zu einer Globalisierung der Solidarität und Nächstenliebe auf. In Zeiten von Corona bekommt dieser Appell eine neue Bedeutung. missio steht auch in diesen Zeiten der weltweiten Pandemie in engem Kontakt mit seinen Projektpartnern in Afrika, Asien und Ozeanien, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Marco Moerschbacher interviewt Bischof Seyoum Fransua, Bischof von Hosanna in Äthiopien.

Wie hat die Covid-19-Pandemie das Leben der Menschen in Ihrem direkten Umfeld (in Ihrer Nachbarschaft) verändert?

Im Namen des Apostolischen Vikariats Hosanna in Äthiopien und in meinem eigenen Namen möchte ich meine Solidarität mit allen Opfern von Covid-19 zum Ausdruck bringen und für sie beten. Ich denke dabei besonders an jene in Deutschland, die überraschend einen lieben Menschen verloren haben. Nach dem ersten Ausbruch in Wuhan im Dezember 2019 verbreitet sich das Virus Covid-19 nun über die ganze Welt. Am 12. März 2020 erklärte die WHO Covid-19 zu einer Pandemie, die sich schnell ausbreitet – mit verheerenden Konsequenzen für das menschliche Leben und die Wirtschaft auf der ganzen Welt.

Äthiopien ist nach Nigeria das Land mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl in Afrika. Über 55 % der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre, über 55 % sind Frauen. In Äthiopien wurde der erste Fall einer Infektion mit Covid-19 am 13. März 2020 festgestellt. Bis zum 30. Mai verzeichnete das Gesundheitsministerium 968 Infektionsfälle, 8 Tote und 197 genesene Patientinnen und Patienten. In den letzten zwei Monaten jedoch nahm die Ausbreitung in alarmierender Weise zu und hat alle Regionen des Landes erfasst. Am 25. Juli verzeichnete das Gesundheitsministerium 13.248 Infektionsfälle, 209 Tote und 5.785 genesene Patientinnen und Patienten.

Das Gesundheitsministerium ist die offizielle Behörde für den medizinischen Sektor in Äthiopien. Was die medizinische Infrastruktur und flächenmäßige Abdeckung angeht, wurden in den letzten 20 Jahren erhebliche Fortschritte erzielt. In Ergänzung zu den Bemühungen der Regierung spielen der private Sektor und Nichtregierungsorganisationen eine zentrale Rolle, um auf die medizinischen Bedürfnisse der Bevölkerung zu antworten. In der Eindämmung des Virus Covid-19 kann der private Sektor die Regierung sinnvoll unterstützen.

Die katholische Kirche in Äthiopien ist eine der religiösen Organisationen, die in ihren 13 Diözesen, durch Büros für Entwicklung und mit Hilfe von über 60 Ordenskongregationen ihre Dienste im Gesundheitsbereich anbietet, insbesondere im ländlichen und halbstädtischen Umfeld. Sie stützt sich dabei auf über 300 Pfarreien, 87 Gesundheitszentren, 430 Schulen, 60 Zentren für soziale Integration und 56 Zentren für Frauenförderung. Diese sind alle – wenn auch in verschiedenem Ausmaß – von der Covid-19 Pandemie betroffen.

Nach dem ersten Fall einer Covid-19 Erkrankung hat der Premierminister Äthiopiens, Dr. Abiy Ahmend, am 16. März 2020 Maßnahmen zur Prävention von Ansteckungen durch Covid-19 erlassen. Dazu gehörte das Verbot von Massenansammlungen, öffentlichen Treffen, die Schließung aller Bildungseinrichtungen mit Ausnahmen von staatlichen Hochschulen. Religiöse Institutionen wurden angehalten, die Anzahl von Gottesdienstbesuchern zu beschränken, für Mindestabstand zu sorgen und liturgische Feiern in der Öffentlichkeit abzuhalten. Auch häufiges Händewaschen wurde zur nationalen Hygienemaßnahme.

Die Bundesregierung Äthiopiens stellte ein Budget zur Verfügung, um das Virus zu bekämpfen, und mobilisierte lokale und internationale Geldgeber. Sie setzte als Antwort auf das Virus auf Bewusstseinsbildung in den Medien und erstellte und verteilte Informationsmaterial. Die Ausbreitung von Covid-19 beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern betrifft auch ihre Grundbedürfnisse und ihre wirtschaftliche Situation, insbesondere dann, wenn sie über kein regelmäßiges Einkommen verfügen. Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Straßenkinder und Menschen mit chronischen Krankheiten sind besonders gefährdet.

Wie Beispiele von Ländern mit weiter fortgeschrittener Covid-19 Krise zeigen, ist die Welle der Infektionen nur sehr schwer aufzuhalten. Erforderlich ist schnelles, entschlossenes und vorausschauendes Handeln. Die äthiopische Regierung bereitet die medizinische Infrastruktur des Landes auf eine Infektionswelle vor, richtete in Addis Abeba und den anderen Bundesländern Quarantänestationen und Testzentren ein und erhöhte die intensivmedizinischen Kapazitäten. Besonders in entlegenen Gebieten besteht aber die Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Um dies zu verhindern, muss die Regierung alle staatlichen, nichtstaatlichen und privaten Initiativen im Gesundheitsbereich koordinieren. Die bestehenden staatlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen müssen darauf vorbereitet sein.

 

Welche Auswirkungen wird die Pandemie in den nächsten Monaten auf Ihr Land haben?

Offensichtlich trifft das Virus alle Menschen weltweit ohne Unterschied, insbesondere aber arme und dem Risiko ausgesetzte Familien, die im Falle einer Erkrankung unter den Folgen besonders schwer zu leiden haben. So brauchen mehr als 17 Millionen Menschen in Äthiopien dringend Nothilfe, mehr als die Hälfte davon (9,8 Millionen) aufgrund von Covid-19. Die katholische Kirche in Äthiopien hat dank ihrer Partner in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Europa, darunter auch das päpstliche Missionswerk missio, den Kampf gegen Covid-19 aufgenommen, Gesundheitszentren mit Material zur Prävention ausgestattet und Nahrungsmittelhilfe geleistet für jene, die bereits vor dem Virus auf Hilfe angewiesen waren, und für die nun von Covid-19 betroffenen. Mithilfe ihrer Partner in Europa und Amerika wird die katholische Kirche auch in Zeiten von Ausgangssperren weiterhin Nahrungsmittel zur Verfügung stellen, um die Verbreitung des Virus generell und unter den Armen einzudämmen und so ihren Beitrag zum Kampf gegen das Virus leisten und durch koordinierte ganzheitliche Hilfe menschliches Leid verringern.

 

Welche Bedeutung hat der Glaube für die Menschen in den Zeiten der Pandemie?

Im Äthiopien verfügt die katholische Kirche noch nicht über einen eigenen Medienkanal. Wegen der Pandemie hat die Regierung allen religiösen Institutionen und damit auch der katholischen Kirche die Möglichkeit eingeräumt, Fernsehkanäle und lokale Radiostationen zu nutzen, um ihre Gläubigen und damit natürlich auch die gesamte Öffentlichkeit zu sensibilisieren, zu bilden und zu ermutigen – und dies einen ganzen Monat lang. In diesem Monat haben viele unserer Katholiken von den Fernsehübertragungen von Gottesdiensten und Messen profitiert. So wurden die Menschen ermutigt und getröstet und waren dank der Fernsehübertragungen in ihrem Gebet verbunden. Da gab es Momente, die sowohl den Glauben gestärkt als auch die Katholiken im Land mit jenen, die in Übersee leben, miteinander verbunden haben.  Angesichts einer solchen unerwarteten Pandemie spielt der Glaube für viele Katholiken eine enorme Rolle. Unsere Gläubigen wollten weiterhin zur Messe gehen und die Heilige Kommunion empfangen. Viele haben mich angerufen und mich gefragt, wie ich öffentliche Feiern und die Eucharistie verbieten könnte – angesichts einer solchen Pandemie, die uns töten will. So haben sie bezeugt, dass wir angesichts unserer Armut und den Herausforderungen des Lebens gerade in der Eucharistiefeier Ermutigung und Stärke erfahren. Fast alle religiösen Denominationen und ihre religiösen Anführer haben die Pandemie als den gegen das Volk gerichteten Fluch Gottes gesehen – wegen der Sünden, die wir begehen. Deshalb haben alle christlichen und muslimischen Verantwortlichen ihre Gläubigen aufgefordert zu beten, Gottes Erbarmen herabzurufen und zu fasten – einen ganzen Monat lang. Im Angesicht der Pandemie und des Elends steht die Bedeutung des christlichen Glaubens und des Glaubens insgesamt außer Frage.

Aus meiner Sicht wird nach Covid-19 mein Leben und das Leben vieler nicht weitergehen, wie es zuvor war, denn die Pandemie hat alle Bereiche des Lebens erfasst: das persönliche, religiöse, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben von jedem und jeder. Positiv gesehen ist sie eine Aufforderung, sich Gott zuzuwenden – im Gebet, im Nachdenken über Gottes Wort, in der Sorge füreinander. Wir lernen, auf uns selbst und auf andere zu achten (Hände waschen, Ressourcen teilen u. a.). Tatsächlich haben während der Ausgangssperre Familienmitglieder wieder miteinander gebetet. Die Kirche hat die Familie als Hauskirche wiederentdeckt. Negativ ist zu vermerken, dass die Ausgangssperre und die fehlende Arbeit insbesondere für Arbeiter, die von einem Tag auf den anderen sich Arbeit suchen müssen, eine große Herausforderung und Last mit sich bringt. Auch haben häusliche Gewalt und Missbrauch zugenommen. Schon zuvor hatte das Land mit Armut, Arbeitslosigkeit, schlechter Bildung, ethnischen und religiösen Spannungen, einer hohen Zahl von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern, besonders Frauen und Mädchen, die aus den Ländern des Mittleren Ostens zurückkehren, zu kämpfen.  All dies wird durch die Schließung aller Bildungseinrichtungen und das generelle Versammlungsverbot natürlich verschärft.

Im letzten Monat haben einige Politiker, vor allem im Bundesstaat Oromiya, ethnische Identitäten, Religion, Arbeitslosigkeit und Armut besonders von jungen Leuten für Unruhen missbraucht – und haben dabei zu ihrem eigenen politischen Vorteil auf sozialen Medien falsche Informationen gestreut. Aufgrund eines solch egoistischen Vorgehens fanden mehr als 180 unschuldige Menschen den Tod, vielen wurden vertrieben und verloren ihr Hab und Gut. Gott sei Dank ist nun wieder Ruhe eingekehrt, und die Regierung hat die Lage unter Kontrolle. Denn neben dem Kampf gegen Covid-19 musste die Regierung auch noch für Recht und Ordnung sorgen, da verschiedene, auch ausländische Kräfte gegen den Bau des großen Staudamms im Tal das Abay Flusses vorgingen. Dieser ist auch bekannt als der Blaue Nil und macht 86 % der Wasserversorgung Äthiopiens aus.  Äthiopien setzt alles daran, diesen Staudamm zu bauen, um gegen Armut vorzugehen und für eine gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen auch zwischen den Nachbarstaaten zu sorgen. So verfügt mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung, und dazu gehört auch mein Heimatdorf im Bundesstaat Oromiya, nicht über elektrischen Strom.

Beten wir für Frieden und Entwicklung, um Gottes Erbarmen und seine heilende Kraft, denn für Gott ist kein Ding unmöglich.

Foto: missio

Bischof Dr. Seyoum Fransua ist Apostolischer Vikar von Hosanna und Generaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Äthiopien. Er ist ehemaliger Stipendiat des Missionswissenschaftlichen Instituts und missio-Aachen in verschiedenen Projekten wie etwa dem im letzten Jahr in Nairobi (Kenia) abgehaltenen Symposium über „Mission in Afrika heute“ verbunden.


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