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Syrien: Die Krise bewältigen

Bernard Keutgens ist Mitglied der Fokolar-Bewegung in Aleppo. Als Familientherapeut betreut er die Opfer des langjährigen Bürgerkrieges in der Stadt. Hier schildert er seine Eindrücke auf den Umgang Syriens mit der Corona-Virus-Pandemie.

Liebe Freunde,

ganz herzliche Grüße aus Aleppo. Ich hoffe dass es euch und den eurigen gut geht. Seit ungefähr 20 Tagen bin ich wieder hier zurück in Aleppo. Wie in allen Ländern hat sich auch hier das Leben durch COVID-19 deutlich verändert, seit die Krankheit überall verbreitet wurde. Bei euch in Europa ist die Situation sehr ernst, jedoch in den Ländern, wo schon prekäre Zustände sind wie hier, kann die Situation noch dramatischer sein. Ein ganz kleiner Virus, winzig klein, hat alles zum Stillstand gebracht. Auch hier bei uns. 

Offiziell wurden bisher zwei Todesopfer gemeldet, und sechs weitere infizierte Personen (Stand 28.03.20). Seit gut einer Woche sind deutliche Restriktionen verordnet worden, wie ein Ausgangsverbot von 18 bis 6 Uhr morgens. Nachdem man schon vorher die Schulen geschlossen hatte, sind dann wie überall auf der Welt die Geschäfte, Läden, Restaurants, Kirchen und viele andere Einrichtungen geschlossen worden. Hier will man vor allem präventiv auftreten, durch den Gebrauch von Mundmasken, Handschuhen, Desinfektionsmittel.

Schlechte Voraussetzungen 

Es ist ein großes Problem, dass die Menschen hier auf ganz nahem Raum zusammenleben. Die Familien sind meist sehr zahlreich und es leben dann auch alle Generationen unter dem gleichen Dach.  Wir ihr euch vorstellen könnt, ist dies für die älteren Personen ein noch größeres Risiko.

Da das Gesundheitssystem durch den langen Krieg beinahe total zusammengebrochen ist, wird es natürlich sehr schwierig sein, um effizient eingreifen zu können, wenn der Virus sich weiterverbreitet.  Ein guter Bekannter (engagiert bei den Maristen), Dr. Nabil Antaki,  berichtete dass hier in der Stadt Aleppo, einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern, höchstens 100 Beatmungsgeräte zu finden sind. Und es gibt im ganzen Land nur 3.300 Kits als Testmaterial. Das ist die Realität hier. Wenn das Embargo aufgehoben würde, wäre dies natürlich schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir versuchen dazu auch etwas zu unternehmen.

Viel Hilfe und Zuversicht

Dadurch, dass alle Aktivitäten der Menschen hier stillgelegt wurden, sind alle Personen in einen Notzustand reingerutscht. Zum Beispiel kann ein einfacher Gärtner seine Tätigkeit nicht mehr ausführen, da diese strikten Maßnahmen die meisten Arbeiten untersagen. Er stand dann gestern bei uns an der Türe. Nur durch Solidarität kann man diese schwierige Zeit überwinden. Zum Glück konnten wir durch die Freigebigkeit vieler Bekannter in Deutschland, Luxemburg und Belgien bei meinem letzten Besuch schon vielen Familien helfen. Gestern und heute waren es wieder 35 Familien denen wir – oder besser gesagt – denen ihr geholfen habt. Nochmals vielen Dank.

Was mich jedoch hier in diesem Land beeindruckt sind die Menschen, die sagen, dass sie auch diese Krise bewältigen können. Hier fühle ich viel weniger Panikreaktionen oder Klagetöne, wie dies in Europa der Fall ist. Ist das so, weil man hier gelernt hat, in noch schwierigeren Verhältnissen zu leben, oder zu überleben? Seit Jahren werden die Menschen hier mit Gewalt, Tod, aber auch mit Leben und Hoffnung konfrontiert. Solidarität, Verbundenheit, Liebe sind sicherlich Werte, die auch heute noch wichtig sind.

Nun hoffe ich, dass es euch auch weiterhin gut geht. Ich denke gerne an euch und an die gemeinsamen Momente, die wir vor kurzem teilen durften. 

In Verbundenheit durch Gedanken, Gebet, Vertrauen und Hoffnung, bis demnächst.

Bernd Keutgens, Aleppo (Syrien)


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