Auch wenn im September 2018 offiziell wieder einmal ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde, wird der Südsudan weiterhin von einem ethnischen Bürgerkrieg erschüttert. Prof. Dr. mult. Klaus Vellguth, Abteilungsleiter bei missio, besuchte am vergangenen Wochenende das Good Shepherd Peace Center in Kit, das sich für Frieden, Versöhnung und die Heilung einer nach jahrzehntelangen Kriegen traumatisierten Bevölkerung einsetzt. Über seine Reise in den Südsudan berichtet er im missio-Blog.
Vor zwei Jahren machte mich Hans Peter Hecking, Afrikaexperte der missio-Auslandsabteilung, auf die Arbeit des Good Shepherd Peace Center im südsudanesischen Kit aufmerksam. Seitdem hatte ich mehrfach vergeblich versucht, ein Visum für die Einreise in den Südsudan zu erhalten, um das Pastoralinstitut zu besuchen und mir vor Ort einen Eindruck von der Arbeit dieses Friedens- und Versöhnungszentrums zu machen. Vor wenigen Wochen bekam ich nun von der südsudanesischen Botschaft das Dokument, mit dem ich (vor einem anschließenden Konferenzbesuch in Nairobi im September 2019) in den Südsudan einreisen konnte.
Kurz nach meiner Ankunft in Juba, der Hauptstadt des Südsudan, traf ich zunächst Bischof Edward Hiiboro Kussala, den Vorsitzenden der sudanesischen Bischofskonferenz, und anschließend den Erzbischof von Juba, Paulino Lukudu Loro MCCJ. Die Bischöfe berichteten von der pastoralen Herausforderung, sich in einem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land für Frieden und Versöhnung einzusetzen. Als jüngster Staat in Afrika habe der Südsudan im Jahr 2011 nach jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen seine Unabhängigkeit vom Sudan erlangt. Doch auch nach der Unabhängigkeit gingen die Kämpfe weiter. Scheinbar unüberwindbar seien die ethnischen Konflikte zwischen den Dinka und Nuer, Niloten, Schilluk und Azand. Trotz mehrfacher offizieller Waffenstillstands- und Friedenserklärungen dauere der Bürgerkrieg in dem ostafrikanischen Staat unvermindert an.
Am nächsten Morgen ging es mit dem Auto auf einer von der zurückliegenden Regenzeit zerfurchten Straße nach Kit, einem etwa eine Stunde von der Hauptstadt Juba entfernten Ort. Die Straße sei tagsüber relativ sicher, ermutigte mich mein Begleiter Peter Suleimann, Generalsekretär der südsudanesischen Bischofskonferenz, bei der Fahrt über die Juba-Brücke. Die 250 Meter lange Eisenkonstruktion ist auf einer Distanz von über 600 Kilometern die einzigen Brücke über den Nil und wird wegen ihrer strategischen Bedeutung von Soldaten bewacht. Unterwegs kamen wir an zahlreichen traditionellen sudanesischen Dörfern vorbei. Hier leben die Menschen wie ihre Vorfahren in den letzten hundert Jahren in ihren grasbedeckten Rundhütten und abgeschnitten von Wasserversorgung sowie Elektrizität – immer in Furcht vor den Angriffen feindlicher Stämme, marodierender Truppen oder krimineller Gangs. Der seit Jahrzehnten immer neu aufflackernde Bürgerkrieg hat in der Seele des Landes und der dort lebenden Menschen tiefe Spuren hinterlassen.
Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir Kit. Soldaten bewachen den Eingang des „Good Shepherd Peace Center“, einem Zentrum für menschliche, pastorale und geistliche Bildung, Friedensarbeit und Traumabehandlung sowohl für kirchliches Personal als auch für nichtkirchliche Gruppen im Südsudan. Der Comboni-Missionar Paolino Tipo MCCJ begrüßt uns und zeigt uns das weitläufige Pastoral- und Friedenszentrum, dessen Bau vor fünf Jahren begonnen wurde: Im Oktober 2014 wurde das Gelände in Anwesenheit von drei Bischöfen, dem Vertreter der Europäischen Union und örtlichen Autoritäten gesegnet. Damals war noch ungewiss, ob es tatsächlich möglich sein wird, hier in dieser Gegend ein Friedens- und Versöhnungszentrum zu errichten. Heute werden am Good Shepherd Peace Center zahlreiche Workshops zur Friedensarbeit, Trauma-Beratungs-Seminare, Workshops und Seminare zur Förderung einer ganzheitlichen Pastoral, Kurse zur Förderung des inter-ethnischen Dialogs, Workshops zur Förderung der Menschenrechte, spirituell geprägt Einkehrtage und andere Pastoralkurse angeboten. Beeindruckt von dem umfangreichen Kursangebot lade ich Fr. Paolino ein, als Direktor des Friedenszentrums am nächsten Treffen des von missio initiierten Netzwerk Pastoral in Afrika teilzunehmen.
Beim anschließenden Mittagessen erzählt Fr. Paolino von den Herausforderungen seiner Arbeit. Es sei ein Abenteuer, inmitten eines vom Bürgerkrieg gezeichneten Landes ein Friedenszentrum zu errichten, bekennt er. Die Bevölkerung lebe seit Jahrzehnten im Krieg, betont der Comboni und erläutert mir das in den ethnisch geprägten Kulturen des Landes vorherrschende Denkschema: Auf Gewalt muss mit Gegengewalt reagiert werden. Wenn ein Stamm sich nicht wehrt, ist er zu schwach zum Überleben und wird mit seinen Stammesangehörigen untergehen. Rache wird in dieser fatalen Logik ethnischer Stärke zum Instrument der individuellen und gemeinschaftlichen Existenzsicherung.
Damit das Pastoralzentrum inmitten des Bürgerkriegs existieren kann, ist Fr. Paolino auf den Schutz von Soldaten angewiesen. „Ich habe eine Vereinbarung mit dem südsudanesischen Militär, dass 23 Soldaten hier in Kit stationiert werden, um das Zentrum schützen“, so der Direktor des Friedenszentrums. Damit die Soldaten tatsächlich zur Befriedung der Region beitragen, bindet der Comboni-Missionar sie in die Versöhnungsarbeit des Zentrums ein. „Ich sorge dafür, dass die Soldaten, die in der Nähe des Zentrums leben, gut versorgt sind und sich mit ihren Familien eine bescheidene Existenz aufbauen können“, so der Missionar. „Wenn es den Soldaten gut geht, erleben sie, dass ein Leben ohne Aggression besser ist als ein Leben im Angesicht von Gewalt und Krieg.“ Plötzlich unterbricht ein dumpfes Geräusch unser Mittagessen. Wortlos steht Fr. Paolino auf und tritt aus dem Haus. Er schaut in die Ferne, wo er einen Schuss vernommen haben will. „Es war wohl nicht direkt am Zentrum“, erklärt er mir, als er sich wieder hinsetzte.
Dieser kurze Moment hat deutlich gemacht, wie wichtig die Arbeit des Friedens- und Versöhnungszentrums in Kit ist. Auch wenn Gewalt allgegenwärtig zu sein scheint -sieht Paolino Tipo keine Alternative zur Friedens- und Versöhnungsarbeit der Kirche im Südsudan. Das Good Shepherd Peace Center ist für die Menschen im Südsudan ein Hoffnungszeichen. Doch es ist noch ein langer Weg zum Frieden.
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