Ich hatte das Privileg, Papst Franziskus in Rom zu treffen. Gemeinsam mit Schwester Lorena, die in Papua-Neu-Guinea gegen den Hexenwahn kämpft, konnten wir mit dem Papst in Rom sprechen. Als wir ihm von den grausamen Verfolgungen von den Frauen erzählten, die der „Hexerei“ bezichtigt werden, war er tief betroffen. Aber Papst Franziskus war nicht nur ein Zuhörer – er war ein Mann der Tat. Sein Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, habe ich auch an diesem Tag mit seiner Unterschrift für den Kampf missios gegen den Hexenwahn erfahren dürfen.
Der Hirte, der aus dem Süden kam
Mit dem Tod von Papst Franziskus verliert die katholische Kirche einen Papst neuen Zuschnitts. Ohne große Erwartungen reiste er beim letzten Konklave mit Rückflugticket und einem Koffer, der nur zwei Gewänder enthielt, nach Rom. Jorge Mario Bergoglio wurde am 13. März 2013 zum Papst gewählt und nahm den Namen Franziskus an. Seit seiner Wahl hat er die Kirche auf einen Weg einer Erneuerung geführt, der sowohl von seiner argentinischen Herkunft als auch von seiner tiefen pastoralen Berufung geprägt war. Er lebte eine Vision von Kirche, die nahe bei den Menschen ist und sich nicht scheut, sich in die Unordnung des Lebens zu begeben. Er wollte nah an der Botschaft Jesu Christi sein. Dadurch war er oft auch unbequem.
Argentinische Wurzeln und der Weg zum Papstamt
Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires, Argentinien, als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Sein Vater, Mario José Bergoglio, stammte aus dem Piemont und arbeitete als Buchhalter, während seine Mutter, Regina María Sívori, aus einer italienisch-argentinischen Familie stammte. Bergoglio wuchs in einfachen Verhältnissen auf und erwarb zunächst einen Abschluss als Chemietechniker, bevor er 1958 in den Jesuitenorden eintrat. Seine Ausbildung umfasste Studien in Geisteswissenschaften, Philosophie und Theologie, die ihn sowohl nach Argentinien als auch nach Deutschland führten, wo er am Goethe-Institut in Boppard Deutsch lernte. Der Papst galt als guter Schwimmer, Tangotänzer und sogar Koch.
Erzbischof von Buenos Aires
Seine pastorale Arbeit in Argentinien war geprägt von einem Engagement im Sinne Jesu für die Armen und Ausgegrenzten. Als Erzbischof von Buenos Aires setzte er sich für soziale Gerechtigkeit ein und war bekannt für seine Bescheidenheit und Nähe zum Volk. Er fuhr mit dem Bus zu seinen Pfarrern, er war bei den Menschen und für die Menschen. Diese Erfahrungen formten seine Vision einer Kirche, die "verbeult und beschmutzt" ist, weil sie auf die Straßen geht, anstatt sich in ihren eigenen Häusern zu verschließen.
"Der Hirte muss nach den Schafen riechen"
Eines der bekanntesten Bilder, die Papst Franziskus bald verwendete, war das des Hirten, der nach seinen Schafen riechen muss. Dieses Bild betonte die Notwendigkeit, dass Seelsorger und Kirchenführer eng mit den Menschen verbunden sein sollten, ihre Freuden und Leiden teilen und nicht in einer abgehobenen Sphäre leben.
Die Vision einer "verbeulten Kirche"
In seinem apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" äußerte Franziskus den Wunsch nach einer Kirche, die bereit ist, Risiken einzugehen und sich den Herausforderungen der Welt zu stellen, selbst wenn sie dabei "verbeult" wird. Er bevorzugte eine Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, gegenüber einer Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und Bequemlichkeit krank ist. Dieses Bild unterstrich seine Vision einer missionarischen Kirche, die sich mutig den Realitäten der Welt stellt und von der Hoffnung auf den Erlöser Jesus Christus berichtet. Irgendwie passt es dazu, dass er Ostern gestorben ist. Ostern ist der Tag der Hoffnung, an dem wir der Auferstehung Jesu gedenken.
Seine gelebte Bescheidenheit
Papst Franziskus verzichtete bewusst auf viele traditionelle Privilegien seines Amtes. Nach seiner Wahl 2013 lehnte er es ab, in die päpstlichen Gemächer zu ziehen, und blieb stattdessen im Gästehaus Santa Marta, wo er mit anderen zusammen aß und lebte. Seine Reisen unternahm er oft in einem kleinen Fiat, mit dem er unter anderem anstelle der Papstlimousine am Weißen Haus vorgefahren ist. Während seines Besuchs auf den Philippinen im Jahr 2015 verzichtete er auf das geplante Festmahl und aß stattdessen mit Straßenkindern. Auch bei seinen persönlichen Begegnungen zeigte er Demut: Er wusch Flüchtlingen und Gefängnisinsassen die Füße und ließ sich von ihnen segnen, ein Zeichen seiner Überzeugung, dass die Kirche vor allem den Schwächsten dienen muss.
Reforminitiativen und offene Fragen
Unter Franziskus wurden zahlreiche kirchliche Reformen angestoßen. Der synodale Prozess wurde gestärkt, um die Beteiligung von Laien und insbesondere von Frauen zu fördern. Die eigentlich abgeschlossene Frage des Frauendiakonats wurde erneut untersucht, und es wurden Kommissionen eingesetzt, um die historische Rolle der Frauen in der Kirche zu erforschen. Dennoch blieben einige dieser Initiativen unvollendet. Dies gilt zum Beispiel auch für die sogenannten "viri probati", also bewährte verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, wie es die Amazonassynode gefordert hatte. Grundlegende neue Entscheidungen wurden von ihm nicht getroffen. So „deutsch“, „die Dinge ein für alle Mal zu klären“ dachte Papst Franziskus nicht. Er wollte Dinge anstoßen.
Dezentralisierung der Kirchenstrukturen
Ein weiteres Anliegen von Franziskus war die Dezentralisierung der kirchlichen Strukturen. Er ermutigte, wohl auch aus eigenen Erfahrungen heraus, die Bischofskonferenzen weltweit, mehr Autonomie zu übernehmen und Entscheidungen im Kontext ihrer jeweiligen Kulturen zu treffen. Diese Dezentralisierung zielte darauf ab, die Kirche flexibler und anpassungsfähiger zu machen, um den vielfältigen Herausforderungen in verschiedenen Kulturen einer immer bunter werdenden Welt gerecht zu werden.
Sein Umgang mit der Kurie und der Vatikan-Reform
Franziskus stieß tiefgreifende Reformen in der römischen Kurie an. Mit der Konstitution "Praedicate Evangelium" richtete er die vatikanische Verwaltung stärker auf Mission und Evangelisation aus. Sich selbst stellte er an die Spitze der für ihn so wichtigen Missionskongregation. Diese Entscheidung hat missio begrüßt. Er setzte sich für Transparenz in den Finanzen des Vatikans ein und sprach Missstände offen an. Sein Umgang mit der Kurie war nicht immer konfliktfrei, da es innerhalb der vatikanischen Bürokratie Widerstände gegen seine Veränderungen gab.
Sein Verhältnis zu reaktionären Kreisen in der Kirche
Papst Franziskus stellte einige Menschen durch seine Reformbestrebungen und seine Betonung der Barmherzigkeit oft vor Herausforderungen. Während er die kirchliche Lehre nicht grundlegend veränderte, setzte er durch seine pastorale Herangehensweise neue Akzente. So erklärte er: „Homosexualität ist kein Verbrechen, sondern eine Tatsache des Menschseins“. Seine Öffnung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen in "Amoris Laetitia" sowie seine kritische Haltung gegenüber einem "starren Dogmatismus" führten zu Spannungen mit einigen Kardinälen. Franziskus sah die Kirche als einen lebendigen Organismus, der sich ständig weiterentwickeln müsse.
Sein Verhältnis zum Islam
Franziskus setzte konsequent auf den Dialog mit dem Islam und den interreligiösen Frieden. Dies ist in der deutschen Öffentlichkeit weniger wahrgenommen worden. Ein symbolträchtiger Moment war seine Reise nach Abu Dhabi 2019, wo er gemeinsam mit dem Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“ unterzeichnete. Das war ein Meilenstein für den katholisch-muslimischen Dialog. 2021 reiste er als erster Papst in den Irak, wo er den schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani traf. Franziskus betonte stets, dass Christen und Muslime Verbündete im Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit sein sollten.
Seine Umweltenzyklika „Laudato Si'“ und sein Einsatz für den Klimaschutz
Mit seiner Enzyklika "Laudato Si'" setzte Papst Franziskus ein starkes Zeichen für den Umweltschutz. Er betrachtete die ökologische Krise als eine moralische und globale Herausforderung und forderte eine ganzheitliche "ökologische Umkehr". Er kritisierte die ungezügelte Ausbeutung natürlicher Ressourcen und forderte eine nachhaltige Wirtschaft, die die Armen nicht vergisst. Diese Enzyklika etablierte Franziskus als wichtigen Akteur in der weltweiten Klimadebatte.
Seine Haltung zu Migration und sozialer Gerechtigkeit
Ein zentrales Anliegen von Papst Franziskus war die Solidarität mit Flüchtlingen und sozial Schwachen. Er forderte eine "Kultur der Begegnung" und prangerte die Gleichgültigkeit gegenüber Migranten an. Besonders seine Reisen nach Lampedusa oder in Flüchtlingslager unterstrichen dieses Anliegen. Seine Kritik an einer Abschottungspolitik machte ihn in vielen politischen Debatten zu einer moralischen Instanz.
Ein Erbe der Erneuerung und Unvollendetem
Mit dem Tod von Papst Franziskus hinterlässt er eine Kirche im Wandel. Eine seine wichtigsten Leistungen war, dass es ihm gelungen ist, die katholische Weltkirche zusammenzuhalten. Seine Reformen sind nicht vollendet, doch er hat die Weichen für eine offenere, sozial engagierte und barmherzige Kirche gestellt. Sein Nachfolger wird die Herausforderung haben, diesen Kurs fortzusetzen und die begonnenen Reformen zu vollenden. Ganz rückgängig wird er die Entwicklungen in Richtung Synodalität, Runde Tische, Dezentralisierung und auch die Stärkung der Rolle der Frauen wohl nicht machen können. Die Weltkirche verliert mit Franziskus eine charismatische Persönlichkeit, die Mut zur Veränderung bewies und dennoch stets die Einheit der Kirche im Blick behielt. Sein Motto war: „biegen nicht brechen“.
Papst aus dem Süden
Mit Papst Franziskus war nicht nur der erste Papst aus der Kirche des Südens, sondern auch ein Papst mit einem unermüdlichen Herzen für die Menschen am Rand der Gesellschaft. In den Schuhen des Fischers galt sein Einsatz der Gerechtigkeit und seinem unerschrockenen Eintreten für Frieden und gegen Armut und Ausbeutung. Während seines Irak-Besuchs vor drei Jahren wurden zwei Selbstmordanschläge auf ihn vereitelt. Diese Episode beschreibt er in seiner empfehlenswerten Biografie "Hoffe".
Sein Pontifikat war eine ständige Mahnung, das Evangelium nicht als leere Worte zu verstehen, sondern als Auftrag zum Handeln. Er forderte eine Kirche, die hinausgeht, statt sich in Traditionen zu vergraben – eine Kirche, die den Menschen dient, statt sich bedienen zu lassen. Papst Franziskus hat die Kirche und etwas auch die Welt verändert. Vielleicht nicht in allem, was er wollte, aber in vielem, was er konnte. Sein Vermächtnis wird bleiben – in den Herzen derer, die er inspiriert hat, und in den Händen derer, die seinen Weg weitergehen. Lebe in Frieden bei Gott, Papst Franziskus. Die Stimme der Armen hat einen Fürsprecher verloren – aber Dein Ruf wird weiterklingen.
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