So geht es mir oft: Ich sortiere nach einem erlebnisreichen Tag meine Eindrücke: Was war heute an diesem Freitag wichtig? Was will ich in Erinnerung behalten? Und dann fallen mir als erstes gerade nicht die „zentralen“ Aussagen aus einem Gespräch ein, die Merksätze oder die wichtigsten neuen Erkenntnisse - sondern interessante Nebensachen. Bilder, die mir vertraut vorkommen. Die ich so oder so ähnlich schon einmal im Leben gesehen habe, an einem anderen Ort, in einem völlig anderen Zusammenhang. Heute in Accra, der Hauptstadt Ghanas, hatte ich ein solches Déjà-vu. Ausgelöst hat es ein Erzbischof, der die Schuhe auszieht.
Der Erzbischof ist Philip Naameh, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz von Ghana. Unsere Reisegruppe von missio und aus dem Bistum Mainz ist im Haus der Bischofskonferenz, um an einer interreligiösen Konferenz teilzunehmen. Ein Treffen mit dem Erzbischof ist für heute nicht vorgesehen, aber plötzlich steht er im Raum und setzt sich zu uns. Er rückt sich auf dem Stuhl zurecht, streckt die Füße aus und streift die Schuhe ab.
In diesem Moment fällt mir eine Begegnung ein, die ich vor zehn Jahren in Barcelona hatte. Ich war bei einem Ehepaar zu Gast, das ein Segelboot gebaut hatte, mit dem es den Atlantik überqueren wollte. Kurz vor der Abfahrt war ich für einen Tag eingeladen, mit den Bootsbauern vor Barcelona zu kreuzen. Zur Begrüßung sagte der Kapitän: „Bitte zieh‘ die Schuhe aus, das machen auf dem Boot alle so.“ Ich fragte, warum. Die Antwort: „Unsere Erfahrung ist, dass man sich barfuß besser unterhält.“ So wurde es gemacht.
Erzbischof Naameh hält keine lange Rede, sondern fordert uns auf, ihm Fragen zu stellen. Und weil das Thema unserer Reise nach Ghana das Zusammenleben der Religionen ist, sind wir sofort mitten in seinem Arbeitsalltag. Denn seine Diözese liegt im Norden Ghanas in einer Region, deren Einwohner mehrheitlich Muslime sind, die Christen sind dort eine Minderheit. Auf die Frage nach den Beziehungen zum Islam antwortet er: „Aktiv und konkret. Dialog der Religionen, das kann nur ein Dialog des Lebens sein.“ Als der ranghöchste islamische Geistliche des Landes seinen einhundertsten Geburtstag gefeiert habe, sei es für die katholische Kirche selbstverständlich gewesen, dieses Ereignis in einem Gottesdienst zu würdigen.
Der ranghöchste islamische Geistliche und ich sind uns einig, dass wir unseren Gläubigen und vor allem den jungen Menschen vermitteln müssen: Jede Religion hat ihren Wert.
Erzbischof Naameh aus Ghana
Das bedeutet in Ghana auch, dass die Religionen im öffentlichen Leben gemeinsam ihren Platz beanspruchen. Bei staatlichen Veranstaltungen, Konferenzen oder Zeremonien ist es üblich, dass zum Beginn und zum Schluss ein Gebet gesprochen wird. „Üblicherweise teilen wir uns diese Aufgaben: Der christliche Pfarrer übernimmt den Auftakt, der Imam den Schluss – oder umgekehrt“, sagt Erzbischof Naameh. „Und ich habe es schon oft erlebt, dass bei solchen Gelegenheiten die muslimischen Politiker oder Beamten, die an der Veranstaltung teilnehmen, das Vaterunser mitsprechen – weil sie als Kinder eine kirchliche Schule besucht und das Gebet dort gelernt haben."
Was der Erzbischof erzählt, klingt so, als wäre Ghana tatsächlich ein Leuchtturm, das Musterbeispiel eines gelungenen christlich-islamischen Dialogs. So beschreiben viele Beobachter, seien sie politische Analysten, Diplomaten oder Vertreter der Religionen selbst, das Land. Aber hat er keine Angst, dass hier Ähnliches passieren könnte wie im nördlichen Nachbarland Burkina Faso, wo eine kleine Minderheit radikaler Muslime, die aus dem Ausland kamen, das jahrelang eingeübte gute Zusammenleben stört? „Diese Befürchtung gibt es, und besonders die islamischen Geistlichen in unserer Region sorgen sich“, sagt Naameh. Andererseits aber gebe es ermutigende Entwicklungen. So seien in den letzten Jahren viele Interreligiöse Ehen geschlossen worden, bei denen beide Eheleute ihre Religion behalten hätten.
„Dialog des Lebens“ – das ist also doch ein Stichwort zum Merken. Ich vermute, es bedeutet, dass man sich gemeinsame Ziele und Aufgaben sucht – in der Familie, oder auch in der Politik. Zu letzterer mehr in meinem nächsten Blogbeitrag.
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