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Praktische Lösungen statt Identitätsdebatten

missio und Bistum Mainz auf Friedenssuchermission in Ghana (Teil 3)

Ich gebe zu: Ich bin kein Freund von Konferenzen. Aber in dieser Woche durfte ich in Accra an einer Konferenz teilnehmen, die mich beeindruckt hat: Dem Treffen der „Interreligiösen Allianz“. Unsere Reisegruppe von missio und dem Bistum Mainz, mit der ich derzeit in Ghana unterwegs bin, war dazu eingeladen worden. Ich wusste, dass es um Politik und Religion gehen sollte, viel mehr nicht. Politik und Religion – eine heikle Kombination. Erst recht, wenn verschiedene Religionen um Aufmerksamkeit und Einfluss kämpfen. Ist das in Ghana anders? Ich war zuerst skeptisch.

Zum Hintergrund: Ende dieses Jahres werden in Ghana Präsidentschaftswahlen stattfinden. Und die „Interreligiöse Allianz“ hat sich vorgenommen, dass vor der Wahl alle Religionsgemeinschaften des Landes mit einer Stimme Forderungen stellen sollen. Alle Religionsgemeinschaften? „Tatsächlich repräsentieren wir, wenn wir gemeinsam auftreten, 98 Prozent der Bürger dieses Landes“, sagt Samuel Zan Akologo stolz. Er ist Chef der Caritas in Ghana und einer der Motoren der Interreligiösen Allianz. Das Erstaunliche an diesem Zusammenschluss: Hier finden Religionsgemeinschaften zusammen, die in anderen Ländern verfeindet sind.

  • So arbeitet Ghanas Chief Imam als höchster Vertreter des sunnitischen Islam ebenso mit wie die Gemeinschaft der Ahmadiyya-Muslime, die in vielen islamischen Ländern als häretisch verfolgt wird.
  • Und die katholische Kirche arbeitet ganz selbstverständlich mit den Pfingstkirchen zusammen, obwohl sie anderswo in der Welt um Gläubige konkurrieren.
Das Bild zeigt eine Konferenz, die von Caritas Ghana organisiert wird und sich auf einen Bericht mit dem Titel "Lessons Learned Report Launch" konzentriert. Das Thema ist "I-Shame Corruption". Auf dem Bild sieht man eine große Gruppe von Menschen, hauptsächlich Frauen und Männer afrikanischer und europäischer Abstammung, die auf beiden Seiten eines langen Tisches sitzen. Der Tisch ist mit Unterlagen, Wasserflaschen und Mikrofonen bedeckt. An der Wand hängt ein Banner mit dem Titel und dem Thema der Veranstaltung sowie den Logos von Caritas Ghana und anderen Organisationen. Die Atmosphäre scheint formell und konzentriert zu sein. Die Teilnehmer scheinen aktiv an der Diskussion teilzunehmen, einige sind im Gespräch, andere hören aufmerksam zu.
Die Delegation von missio und Bistum Mainz lernen im ghanaischen Accra, wie dort Angehörige unterschiedlicher Religionen gemeinsam in einer Interfaith Alliance (zu Deutsch: Interreligiösen Allianz) gesellschaftliche Fragen bespricht. Der interreligiöse Dialog erhält so eine wichtige politische Bedeutung - wovon wir in Deutschland lernen können. Hajia Ayishetu Abdul-Kadiri (zweiter von links) ist Vorsitzender der Interfaith Alliance, Samuel Tan Akologo (dritter von links) ist von der Caritas Ghana - daneben sitzt Werner Meyer zum Farwig von missio.

Ein Grundübel ist in Ghana Korruption - alle Religionen wollen das in den Mittelpunkt des Wahlkampfs stellen

Wie schafft man es, mit so vielen unterschiedlichen Partnern eine sinnvolle Zusammenarbeit zu organisieren? Eine gute Methode ist es offenbar, nicht über sich selbst zu reden, über Identität und Selbstverständnis, sondern über praktische Fragen, die mit Religion erst einmal gar nichts zu tun haben. Das haben die Mitglieder der Interreligiösen Allianz getan und festgestellt: Ein Grundübel in Ghana, unter dem fast jeder Mensch leidet, ist die Korruption: Vom Erkaufen einer guten Schulnote bis zur systematischen Bestechung für unternehmerische Zwecke reicht die Palette.

Die Vertreter der Religionsgemeinschaften wollen dieses Thema im Wahlkampf in den Vordergrund rücken. Sie haben ein Unterrichtsprogramm entwickelt und in einer Reihe von Schulen erprobt, mit dem schon Kindern und Jugendlichen vermittelt werden soll, was Korruption ist, wo sie im Alltag beginnt und warum sie schädlich ist. Dieses Unterrichtsmodul, so fordern die Religionsgemeinschaften, soll nun im ganzen Land eingesetzt werden.

Natürlich wissen die Erfinder des Programms, dass sie die Korruption in allen ihren Ausprägungen nicht in kurzer Zeit zum Verschwinden bringen werden. Aber wichtig ist etwas Anderes: Es geht ihnen um das Zeichen, dass sie gemeinsam auftreten. Dass politische und soziale Probleme nicht die Schuld der einen oder der anderen religiösen Gruppe sind. Dass sie sich nicht auseinander dividieren lassen.

Ein kleiner Teil der Initiative, die mir besonders gefällt: Die Glaubensgemeinschaften haben ein gemeinsames Gebet formuliert, in dem Gott gebeten wird: „Gib uns die Kraft, die Korruption zu bekämpfen und Ghanas Gesellschaft davon zu heilen.“ Es sind wenige, einfache Sätze, in denen Gott nicht mit einem bestimmten Namen genannt wird. Sätze, die niemandem exklusiv gehören, die auf keinen heiligen Text ausdrücklich Bezug nehmen, die aber gerade deshalb alle beteiligten Religionsgemeinschaften mittragen können.

Das Bild zeigt einen Ausschnitt eines Banners mit dem Slogan „I-SHAME Corruption“. Das Hauptmotiv ist eine Illustration von zwei Händen: eine Hand gibt Geldscheine an die andere, wobei ein großes X unterhalb der Übergabe platziert ist, um die Ablehnung von Korruption zu symbolisieren. Der Text „I-SHAME“ ist groß und deutlich in orange geschrieben. Rechts daneben sind die Namen und Titel von Organisatoren oder Verantwortlichen der Veranstaltung aufgelistet. Das Banner ist ansprechend gestaltet, um eine Botschaft gegen Korruption zu vermitteln, möglicherweise im Kontext eines Workshops oder einer Konferenz. Die Gestaltung ist einfach und direkt, mit klaren Symbolen und leicht verständlichem Text.
So visualisiert die Interfaith Alliance in Accra in Ghana ihre religionsverbindenden Kampf gegen Korruption.

Wir bekommen eine Frage gestellt: Warum funktioniert der interreligiöse Dialog in Deutschland nicht?

Nach dem Ende der Konferenz, bei der die Anti-Korruptions-Initiative der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, haben wir noch Gelegenheit, uns persönlich mit dem Vorstand der Allianz auszutauschen. Die Vorsitzende ist übrigens eine muslimische Frau, Hajia Ayeshetu Abdul-Kadiri. Wir stellen viele Fragen, erhalten viele Antworten und bekommen ganz zum Schluss eine Gegenfrage gestellt: Wir hätten nun lange über den Interreligiösen Dialog in Ghana gesprochen. Doch könnten wir erklären, warum er bei uns in Deutschland nicht funktioniere? Wir werden nachdenklich, bemühen uns um Antworten, finden aber an diesem Mittag keine, die befriedigt.

Was ich aber mitgenommen habe: In Ghana stellt man praktische Fragen und sucht nach einer gemeinsamen Antwort. Das gefällt mir.


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