Während unserer Reise sprechen wir über Themen, wie traditionelle Glaubensvorstellungen, woher sie kommen und was sie für die Bevölkerung Ghanas bedeuten. Oft sind sie fremd und scheinen schwierig mit dem christlichen Glauben vereinbar zu sein. Father Boniface gibt uns einen Einblick und erzählt, welche Herausforderungen, aber auch Gemeinsamkeiten es gibt.
Vor einigen Tagen habe ich notiert, dass mir Bilder stärker im Gedächtnis bleiben als Sätze. Es gibt natürlich Ausnahmen. Eine davon ist ein Satz, den Father Boniface aus Tamale in einem Vortrag gesagt hat: „Schon bevor die Religion ins Spiel kam, waren die Menschen Brüder und Schwestern.“ Später fragte ich ihn, ob er das genauer erklären könne, und er ordnete den Gedanken in die Geschichte Ghanas ein:
Als der Islam und das Christentum, die beiden missionarischen Religionen, nach Ghana kamen, lebten hier natürlich längst Menschen. Sollte es etwa so sein, dass alle diese Menschen, die nie etwas von der Bibel oder vom Koran gehört hatten, deswegen der ewigen Verdammnis anheimfallen?
Father Boniface
Seine Antwort ist nein: „Gott hat diese Menschen an diesen Ort der Welt gesetzt, und darum war es so gut.“ Father Boniface weist also darauf hin, dass Christen und Muslime in Westafrika historisch relativ junge Erscheinungen sind. Schon zuvor gab es eine Geschichte, und damit auch eine Geschichte der Menschen mit Gott, die ihren Wert hatte.
Das aber ist nicht nur eine historische Überlegung, denn die traditionellen Glaubensvorstellungen Ghanas sind keineswegs vergangen und verschwunden. Der Dialog der Religionen ist das Thema unserer Reise, und dazu gehört eben auch der Dialog mit den traditionellen Religionen. Wie stark sie in Ghana verbreitet sind, lässt sich in Zahlen schwer ausdrücken, denn sie sind nicht kirchlich organisiert wie etwa das katholische Christentum. Nach allem, was wir hier in Gesprächen nach und nach erfahren, kann man auch nicht alle Menschen exklusiv in Monotheisten und Angehörige der traditionellen Religion einteilen. Gestern Abend gab uns Father Aloysius, ein katholischer Priester, ein Beispiel: „Natürlich gehen die Menschen zum Arzt, wenn sie krank sind, oder sogar ins Krankenhaus, wenn sie eines erreichen können. Wenn man ihnen aber dort nicht helfen kann, dann gehen sie zum Earth Priest, dem Priester der Erde. So nennt man hier die Männer, die in der traditionellen Religion für Spiritualität und Heilung verantwortlich sind. Und deren Dienste nehmen auch Christen in Anspruch.“
Schon am Beginn unserer Reise, in Accra, hatte ein Mann ein anderes Beispiel erzählt. Sein Vater hatte als Offizier der Luftwaffe in Accra gearbeitet und war dort gestorben. Der Sohn wollte ihn kirchlich beerdigen lassen, denn die Familie war katholisch. Die Familie stammte aber aus dem Norden Ghanas, und von dort meldeten sich nun Verwandte des Verstorbenen mit der Forderung, man möge ihnen Haare und Nägel des Vaters schicken: Wenn er schon nicht zuhause begraben werde, müssten zumindest kleine Überreste seines Körpers wieder in die Heimat kommen. So sei es in der traditionellen Religion vorgesehen.
Der Sohn des Verstorbenen hat diesem Wunsch nicht entsprochen. Für Christen wie Muslime stellt sich die Frage, wie sie mit solchen alten, tief verwurzelten Ideen und Ritualen umgehen sollen. Father Aloysius sagt, er kenne Earth Priests, die selbstverständlich auch zum Beten in die Moschee gingen. Father Boniface plädiert für einen differenzierten Umgang. Ein Beispiel dafür ist das Gespräch mit den verstorbenen Ahnen, das in der traditionellen Glaubenswelt eine wichtige Rolle spielt: „Es geht nicht, dass man als Christ den Vorfahren ein Huhn als Opfer darbringt“, sagt er. „Aber wenn wir uns an Menschen, die in unserem Leben wichtig waren, erinnern, indem wir mit ihnen sprechen, ist das eine Vorstellung, die uns Christen nicht fremd ist:
Die Heiligen der Kirche sind gewissermaßen auch unsere Vorfahren, unsere Vorfahren im Glauben.
Father Boniface
Darum hält es Father Boniface auch für wichtig, dass die Kirche Christen aus Afrika als Heilige anerkennt. In meinem Zimmer im katholischen Gästehaus von Wa, in dem ich schreibe, hängt am Kleiderschrank ein Kalender mit dem Bild des verstorbenen Kardinals Peter Dery. „Betet dafür, dass er bald als erster aus dem Volk der Dagao heiliggesprochen wird“, steht darunter.
Das Verhältnis zwischen Christentum und traditionellen Glaubenswelten ist, so scheint es, vielschichtig. Natürlich ist das, was ich bisher erfahren habe, ganz wenig. Jede Antwort löst neue Fragen aus. Aber spannend ist es! Und diejenigen, die sich seit Jahren intensiv mit anderen Religionen auseinandersetzen, haben gelernt, dass das Eigene nicht selbstverständlich ist. Das Eigene war nicht immer schon da. Wer das weiß, tut sich im Gespräch mit dem Fremden bestimmt leichter.
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