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Libanon: Sozialpastoral im „House of Hope”

Wir sind eine Woche lang im Libanon » unterwegs. Wir, das sind: Ayline Plachta, Elke Breuer-Schulte, Katja Heidemanns, Johannes Seibel, Frank Kraus und Pfarrer Dirk Bingener. Wir lernen Frauen und Männer kennen, die die verschiedenen christlichen Kirchen im Libanon und Nahen Osten prägen. Einige von ihnen sehen wir im Oktober zum Monat der Weltmission » in Deutschland wieder.

 

Foto: Johannes Seibel / missio
Rundgang mit dem Leiter des „House of Hope” Dr. Robert Caracache und einer Sozialarbeiterin durch die Straßen des Viertels rund um die sozialpastorale Einrichtung.

„Es ist schwer für uns Jungen, nicht aufzugeben“

Sie kämpft mit den Tränen. Ich sitze mit der 22-jährigen Studentin A. (ich anonymisiere den Namen) heute am Montag in der Kantine der Notre Dame Universität in Beirut zusammen. Träger ist ein maronitischer Orden. A. berichtet mir von Panikattacken und Ängsten, die sie gerade durchleidet – ein Beispiel, wie Wirtschaftskrise, Corona und Inflation die Zukunft junger Menschen im Libanon verdunkelt.

Angst um den arbeitslosen Vater

Ihr Vater ist arbeitslos geworden. Ihm geht es schlecht. Sie macht sich Sorgen um ihn. A. sind drei Schwestern in der Familie. Die beiden Ältesten müssen die Familie ernähren. Sie haben auch studiert. Eine arbeitet jetzt für eine Essensausliefererkette. A. spürt einen immensen Druck, ihr Studium wesentlich schneller zu beenden als geplant. Sie muss auch Geld verdienen, damit die Familie in ihrem kleinen Haus bleiben kann. „Vor Corona und der Wirtschaftskrise waren wir eine normale Mittelstandsfamilie, wir hatten Pläne. Jetzt wissen wir nicht mehr, was der morgige Tag bringt, das zermürbt, es ist schwer für uns Jungen, nicht aufzugeben“, sagt sie und schluckt. Auf ihrem Smartphone zeigt sie mir das Bild ihrer lächelnden Cousine, die in Heidelberg lebt.

Warum lässt Gott das zu?

A. hat Panikattacken. Sie hat sich jetzt ein Buch organisiert, wie sie mit solchen Attacken umgehen kann. Ob sie denn an der Universität oder in ihrer Kirchengemeinde darüber sprechen kann und Hilfe erhält? A. ist unsicher, anscheinend bekommt sie diese Hilfe nicht, soweit ich sie verstehe. „In unserer Kirchengemeinde gibt es keine Jugendarbeit, jedenfalls kenne ich keine Gruppe, es gibt Gruppen für Ältere, sonntags nur Gottesdienst, aber ich frage mich schon, warum Gott das zulässt. Wenn wir Probleme haben, heißt es immer nur, ihr müsst beten. Aber was bringt das?“, fragt sie mich. Ich habe keine zufriedenstellende Antwort. Wir von missio haben der Universität Übergangsstipendien zur Verfügung gestellt, damit in dieser besonderen Lage die Studierenden wenigstens ihr Studium beenden können.

Wie lange noch können sich die Menschen gegen den Zusammenbruch stemmen?

A. lässt sich nicht gehen. Sie sieht gut aus. Sie will es schaffen. Nach anderthalb Tagen im Libanon verfestigt sich so ein Eindruck bei mir. Noch steht alles, noch sehen die Menschen, Häuser, Straßen und Plätze alltäglich normal aus. Aber die Menschen müssen sich mit aller Kraft dagegenstemmen, dass die Fassaden nicht einfach in sich zusammenkrachen und ihre Leben begraben.  

Armut ist nicht idyllisch

Wie in Naaba. Das ist ein ärmeres Stadtviertel in Beirut. Dort arbeitet das House of Light and Hope », ein langjähriger Partner von missio. Der charismatische Leiter Dr. Robert Caracache und eine Sozialarbeiterin begleiten uns durch die Straßen. Die Armut springt nicht unvermittelt in die Augen, sie ist nicht idyllisch. Journalisten würden das Straßenleben pittoresk nennen. Das ist es aber beileibe nicht. Ich sehe vielmehr Menschen, die sehr sorgsam mit dem wenigen umgehen, was sie haben. In Reparaturläden für Smartphones oder Auto- und Motorradwerkstätten beispielsweise sind die Regale sehr spärlich gefüllt. Handyhüllen, Vergaser, Kupplungen, Bremszüge – alles mehrmals gebraucht, aufgearbeitet und mit Gummibändern zusammengehalten wartet es auf Käufer.

Ohne kirchliche Sozialarbeit wäre die Jugend am Ende

Das House of Light und Hope kümmert sich um die marginalisierten jungen Menschen im Stadtviertel. Besonders Mädchen und junge Frauen finden hier Halt. In der kleinen Schule des Hauses besuchen wir zwei Schulklassen. Die meisten der Kinder sind syrische Flüchtlinge. Sie lernen Grundlegendes. Viele der Kinder müssen nach der Schule arbeiten – sonst ließen sie die Eltern nicht wenigstens am Vormittag noch zur Schule. Ohne das House of Light and Hope, ohne die kirchliche Sozialarbeit, hätten sie nicht wenigstens für Stunden das Gefühl, ganz Kind zu sein. Und schon das ist ein Erfolg.

Abends genießen wir den Sonnenuntergang an der Wallfahrtsstätte „Our Lady of Lebanon“ hoch über Beirut. Dort beschützt Maria das Land. Christen wie Muslime pilgern hierher. Sie sind in sich gekehrt, entzünden Kerzen. Hilft Beten vielleicht doch?


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