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Unterwegs in Melanesien: Ankunft auf den Salomonen

Sebastian Beyer (29) hat es an das andere Ende der Welt verschlagen. Drei Monate ist er in Melanesien unterwegs, um dort im Rahmen seines Studiums „Theologie und Globale Entwicklung“ an der RWTH Aachen ein Praktikum zu absolvieren. Neben dem Studium unterstützt er missio in der Abteilung „Theologische Grundlagen“. Auf seiner Reise trifft er unsere Projektpartner und berichtet von seinen Eindrücken und Erfahrungen im missio-Blog. Bei seinem ersten Stopp auf den Salomonen wurde er mit Tanz und Gesang begrüßt.

Während sich das Flugzeug quälend im Landeanflug über den dicht bewachsenen Hügeln befindet, versuche ich im Inneren mein Trommelfell zu beruhigen und freue mich auf die tropische Hitze, welche mich in wenigen Minuten aus dem tiefgekühlten Air-Conditioning auf den Salomonen begrüßen wird.

Natürlich habe ich mich durch einige Wikipedia-Artikel und Google-Ergebnisse gekämpft, wollte jedoch die Spannung bis zur Ankunft oben halten und mich vom Unbekannten überrollen lassen. Genau so war es dann auch!

Den Flughafen in Honiara könnte man im Vergleich mit Köln/Bonn eher als „süß“ bezeichnen. Ganze zwei „Gates“ gibt es, wobei Gate eher eine Umschreibung für Schwingtüre ist. Nachdem mich die verschlafenen Augen des Zöllners nur gestreift haben, durfte mein Reisepass den angehnehmen Druck des Visa-Stempels spüren und das Abenteuer konnte beginnen.

Am Ausgang erwartete mich, versteckt unter einem riesigen Sonnenhut, der gut gelaunte und herzliche Father Clement Tavoruka, welcher von einem zwei Meter großen Fahrer des „Nazareth Apostolic Centers“ (NAC) begleitet wurde. Ich bin mir bisher immer noch nicht ganz so sicher, ob „John Driver“ sein wirklicher Name ist, jedenfalls kannte man ihn ausschließlich unter diesem Namen. Father Clement, liebevoll „Cley“ genannt, eröffnete mir bei der holprigen Fahrt, dass man abends zum Anlass meiner Ankunft eine Begrüßungsfeier vorbereitet hätte.

Zwei Studenten führen mich durch die Nacht und die Büsche über das Gelände des NAC, ständig auf der Hut vor den gierigen Mückenschwärmen, die ihre Freude an uns fanden. Man darf nicht vergessen, dass die Salomonen ganzjährig mit einem massiven Malaria-Problem zu kämpfen haben und die durch Mücken übertragene Krankheit fordert immer noch viele Tote. Lediglich eine gute Schicht Repellent (Mückenspray) und eine tägliche Malaria-Tablette helfen mir, diesen geflügelten Blutsaugern zu entkommen.

Die Begrüßungsfeier war trotz der späten Stunde unglaublich lebendig. Die Studenten, knapp 140 an der Zahl, führten nach dem Essen ihre Tanzeinlagen auf. Tanzen und Singen gehören zur Kultur der Menschen auf den Inseln. Der gesamte melanesische Kulturraum ist von der Leidenschaft zum Tanz und Gesang durchzogen und zu jeder sich bietenden Gelegenheit werden die Hüften und Stimmbänder geschwungen. Mit Hilfe der traditionellen Tänze überwinden die Menschen non-verbal die Sprachengrenzen zwischen den verschiedenen Volksgruppen.

In der Dunkelheit nicht zu erkennen war, dass das NAC eine Art Dorf ist, umgeben von tiefem Wald. Nicht nur die Studenten und Dozenten leben hier direkt neben einem Fluss, sondern auch die gesamten Familien aller Angestellten vom NAC und dem daran angeschlossenen Priesterseminar.

Der Blick auf die Bibliothek und Klassenräume des Priesterseminars.

Mittlerweile ist es Sonntag und meine Gastgeber für die nächsten Wochen sind Bruder Yohanes, Bruder August und Bruder Paulus, welche alle drei die Ausbildung im Seminar leiten und den angehenden Priestern über sieben Jahre hinweg den rechten Weg zeigen. Die Drei sind nicht im Besitz eines salomonischen Passes, sondern sind stolze Bürger Indonesiens und verraten mir in den nächsten Tagen ihre Eindrücke über die hiesige Kultur und was für sie so faszinierend ist.

Wie es sich für den Sonntag auf den Salomonen gehört, schnappt sich jeder seine Flip-Flops und ab geht es in die weit abgelegene Kirche. Abgelegen deshalb, weil die meisten Dörfer nicht wie in Europa aus zusammenstehenden Gebäuden bestehen, sondern teilweise über Kilometer verstreut im Wald liegen und somit die Menschen innerhalb einer Gemeinde bis zu einem Tagesmarsch voneinander getrennt sein können. Die Sonntagsmesse ist deshalb nicht allein ein kirchliches Treffen, sondern auch eine beliebte Gelegenheit, Informationen und Kontakte auszutauschen oder neben der Kirche Handel mit mitgebrachten Lebensmitteln zu betreiben. Die Einwohner der Salomonen sind zum Großteil Selbstversorger und leben von ihrem Garten, den die meisten mit Hingabe kultivieren und umsorgen, da er die Lebensgrundlage für ihre großen Familien darstellt. Dabei muss aber beachtet werden, dass Familie hier ein sehr dehnbarer Begriff ist und verschiedene Konzepte wie Clan, Familie, Stamm und „Wantok“ auseinander gehalten werden müssen. „Wantok“ bezeichnet Leute, welche dieselbe Sprache sprechen (One Talk). Auf der Inselkette werden über 80 verschiedene Sprachen gesprochen und somit fühlt man sich zunächst mit den Menschen der gleichen Sprachfamilie verbunden. Danach folgt der Stamm, welcher manchmal auch tausend Personen umfassen kann. Viele tragen hier Tattoos mit den Zeichen ihres Stammes und bei einigen Frauen sieht man diese Tattoos im Gesicht und auf dem Unterarm, um eine direkte Identifikation zu ermöglichen. Vereinzelt sind statt Tattoos auch Narben im Gesicht zu sehen, welche meist im zweiten Monat nach der Geburt eingeritzt werden. Einige der Frauen erzählen mir auch, dass sie großes Glück hatten und ihre Väter sich gegen diese Tradition aussprachen, um ihre Töchter vor den Schmerzen zu schützen. Quasi ein Privileg. Die Stämme sind von Clans dominiert, welche sich selber aus Familien zusammensetzen und somit ein jeder in eine bestimmte Region und soziale Gruppe eingebettet ist und ein starkes Identitätsgefühl für seine jeweilige Bezugsgruppe entwickelt. Apropos große Familien: Der Reichtum einer Familie wird für die meisten durch die Anzahl der Kinder bestimmt... Da ich keine Geschwister habe, drückt man mir jedes Mal großes Mitgefühl und Beileid aus, wenn dies zur Sprache kommt. In einem Land ohne wirklich funktionierende Sozialsysteme ist die Familie, Clan, Stamm, ... ein wichtiger Faktor zum Überleben und garantiert den Menschen im Notfall Hilfe und Unterstützung. Durch die starke Identifikation agiert jedoch jeder Einzelne nicht als isolierte Person, sondern als Repräsentant seiner Gruppe, wodurch sich Streitigkeiten oder Fehlverhalten zu schwerwiegenden Problemen zwischen Bevölkerungsgruppen aufbauen können. In diesen Fällen werden Versöhnungsverfahren einberufen – davon werde ich in einem späteren Beitrag berichten.

„Die Drei von der Tanke“ und ich. v.l.n.r. Yohanes, August und Paulus

Nach der Sonntagsmesse verbleibt die Gemeinde meist noch für Stunden im Umfeld der Kirche und genießt den freien Tag mit – wer hätte es gedacht – Tanzen und Singen. Diese Dance-Off’s ziehen sich über Stunden und zeichnen sich durch den unermüdlichen Einsatz von Energie und Ausdauer aus. Nebenher wird noch für eine gewisse Zeit die Sonntagsschule betrieben, um den Kleinsten der Gemeinde den christlichen Glauben kindgerecht zu vermitteln. Für diese Aufgaben sind die Katechisten verantwortlich, die meist den „vice-priest“ in der Gemeinde darstellen, da für den Großteil der „parishes“ (Gemeinden) nicht genügend Priester zur Verfügung stehen. Je nach Ort kann es sein, dass nur einmal im Monat der Priester die Messe lesen oder die Beichte abnehmen kann. Die Katechisten koordinieren die Gemeinde und die anstehenden Aufgaben. Sie leiten die Sonntagsschulen und stehen im Kontakt mit der jeweiligen Diözese. Sie übernehmen quasi jede mögliche Laienaufgabe und sind die gute Seele für die Gemeinschaft.


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Kim Deckers | 10. September 2019 | 11:43 Uhr

Mir gefällt dein Beitrag hier ebenfalls sehr gut. Flotte Sprache und netter Humor :-) Außerdem gewährst du einem tolle Eindrücke in die Kultur der Menschen vor Ort. Gerne mehr davon.

Julia Larkin | 10. September 2019 | 07:32 Uhr

Sehr gut geschrieben und erweckt Interesse!

Dr, Günter Beyer | 7. September 2019 | 09:28 Uhr

Interessante Eindrücke ... wenn Du Zeit und Gelegenheit hast, würde mich interessieren, welche Arbeitsmöglichkeiten / Industrien es dort gibt. Ich las von Konflikten wegen ausländischem Abbau von Erzen in Melanesien, der bei der Bevölkerung nicht gut abkommt. Freue mich auf weitere Berichte ...