missio - glauben.leben.geben

Unterwegs in Melanesien: Die Rolle des Pazifiks

Die Rolle von traditionellen Verhaltensweisen und traditionellen Führern ist immer noch extrem stark in den Gesellschaften verankert, jedoch wird durch die anlaufende Urbanisierung der Einfluss dieser zwei Faktoren immer geringer und junge Menschen in Ballungsgebieten erleben oft eine Identitätskrise, die mit einem Infragestellen von Autoritäten einhergeht.

Foto: missio / Sebastian Beyer
Einsamer Weiler eines Clans mitten im Nichts.

Geopolitisch befindet sich die Rolle des Pazifiks im Umbruch. Wenn noch vor einigen Jahrzehnten die USA die vorherrschende Großmacht in der Region waren, sind es heutzutage vor allem China, Indonesien und Australien. Die Pazifikstaaten mögen zwar klein sein, jedoch sind ihre Freihandelszonen auf offenem Meer und strategische Positionierung ein Grund für aussenstehende Mächte sich ihrer zu bedienen. Dies macht sich auch in der stetig ansteigenden Militarisierung der Inselstaaten bemerkbar.  Waren es in den 80er Jahren noch zwei sich gegenüberstehende politische Lager, die sich bekämpften, stehen sich heute mehre Akteure an den Machthebeln in angespannten Situationen gegeüber. China legt eine Strategie vor, welche es schon in Afrika erfolgreich fährt: Infrastrukturelle Unterstützung durch Schul-, Straßen- und Brückenbau im Austausch für steuerliche Vorteile und politische Anteilnahme und Unterstützung in seinen finanziellen und machtpolitischen Belangen. Im Pazifik nennt man dieses Vorgehen „look-north-policy“ und die gewährte Unterstützung wird als „geliehene Investitionen“ bezeichnet. Australien sieht seine Chancen ebenso in der Ausbeutung von Ressourcen, ist aber durch seine Nähe am pazifischen Raum auch besonders um die politische Stabilität bemüht, da ein Feuer im Vorgarten schnell auch den Dachstuhl erreichen kann. Verfällt einer der Inselstaaten in eine Krise oder wird zu einem Narco-Staat, wie Kolumbien, hat dies auch riesige Auswrikungen auf die Kriminalitätsraten auf dem fünften Kontinent. Diese Besorgnis um Sicherheit hat Australien bereits mit seinen militärischen Einsätzen auf Ost-Timor und den Solomon Islands bewiesen.

Die pazifischen Gesellschaften werden durch das steigende Vermögen einiger Bevölkerungsgruppen zu immer mehr konsum-orientierten Gemeinschaften, welche ihre alten Werte und Gebräuche für den kapitalistischen Lebensstil aufgeben. Auf der einen Seite stehen die Gewinner dieser Einnahmen aus diesem Lebensstil der sich durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen finanzieren lässt. Damit sind die Unterstützer von Waldabholzung, Landabbau, Meeresbodenabbau, Überfischung und agrikultureller Nutzung von Monokulturen gemeint. Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die von Armut betroffen sind, die in den meisten der Staaten ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Gerade sie sind es, die am meisten unter der Ausbeutung ihrer Länder leiden.

Die neuen Lebensstile rufen neue Krankheiten hervor, die als non-communicable diseases (NCD) bezeichnet werden und nach dem Bericht der WHO aus dem Jahr 2016 mehr als 40% der Bevölkerung betreffen. Krankheitsbilder wie Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten, Krebs und Depressionen. 44% der Todesfälle in Papua-Neuguinea, 60% auf den Salomonen und 77% in Fiji gehen auf das Konto dieser Lebensstile mit einem nicht absehbaren Ende in den nächsten Jahrzehnten zurück. Der Report der Weltbank aus dem Jahr 2016 stellt fest, dass die Pazifikinseln die höchsten Raten an „mental health issues“ (psychische Probleme) der Welt haben und seit den 70ern stetig steigen, was sich unter anderem in der doppelt so hohen Rate an Selbstmorden im globalen Vergleich ausdrückt.

Der Klimawandel beeinflusst die Selbstversorger der Inseln und macht Lebensmittelknappheit zu einem immer größeren Problem. Kommt noch eine Umsiedlung wegen des steigenden Meeresspiegels hinzu, bewirkt die Umsiedlung nicht nur Identitätsprobleme und Depressionen, sondern auch den Abbruch der sicheren Lebensmittelversorgung durch den umstand, dass die Meisten nicht wissen, wie man in neuen Umgebungen den bisherigen Feldanbau betreiben soll. Durch das Fehlen einer Berufsausbildung ist ihnen der Eingang zum Arbeitsmarkt verwehrt und so müssen sie sich mit der lokalen Bevölkerung um die Tagelöhnerjobs streiten. Die gemeinschaftliche Resilienz der Inselbevölkerungen bilden das Fundament für nationale und politische Stabilität der Länder und der Auflösung dieser Resilienz folgt meist nur noch Chaos.

Oftmals stützen sich die Pazifikstaaten auf das finanzielle Einkommen der Großkonzerne für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, wobei völlig ausser Acht gelassen wird, dass die eigentlichen Profite ausser Landes erreicht werden und der lokalen Bevölkerung nichts bleibt, ausser sich damit abzufinden, mit den riesigen Löchern im Boden, den zerstörten Riffen oder der vergifteten Umwelt zu leben. Während sich einige Wenige, darunter Politiker und Führer, die Taschen füllen lassen durch Bestechungsgelder der Konzerne, verlässt sich die lokale Bevölkerung auf deren Aussagen in Bezug auf sichere Arbeitsplätze, sichere Arbeitsbedingungen und nachhaltige und schonende Abbauweisen. Durch die fehlende Bildung und das blinde Vertrauen entstehen extreme gesellschaftliche Veränderungen und Spannungen, die sich in gewalttätigen, spontanen Aktionen oder in langfristigen, menschenunwürdigen Veränderungen ausdrücken.

Dadurch, dass sich die Interpretation von Wald, Ozean und Tierbestand von einer identitätsstiftenden Perspektive in eine monetäre Perspektive ändert und jeder Baum und jedes Lebewesen, auch Menschen aus der Sicht der Dollar-Note betrachtet werden, ist die Natur nur noch ein zu plünderndes Schlachtfeld, auf dem kein Platz mehr für Würde, Anstand und Nachhaltigkeit für kommende Generationen herrscht.

Das Pacific Theological College möchte durch seine Rückbesinnung auf „Pacific ecological frameworks“ die Menschen dazu bewegen, ihre Sichtweise auf ihre Umgebung, Gemeinschaft und vor allem auf die von aussen anrückenden Großkonzerne zu ändern. Die Bedeutung von Geld war für die meisten Menschen hier entweder ein Fremdwort oder allerhöchsten nur ein Mittel zum Zweck und nicht wie heutzutage der Mittelpunkt aller Aktivitäten. Dort wo früher reziprokes Verhalten und freiwilliges Helfen als Tugend galten, herrscht heute nun die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Die Gewalt gegen Frauen

Wenn man die Statistiken zu Gewalt gegen Frauen und Kinder beachtet, so ergibt sich das Bild, dass in Fiji 80% der Frauen gewalttätige Erfahrungen im eigenen Zuhause erfahren, auf den Salomonen 55% der Frauen sexuelle Gewalt ausgehend vom Partner erfahren und 37% vor ihrem 15. Lebensjahr sexuellen Missbrauch am eigenen Leib erfahren. Auf Samoa sehen sich 46% und auf Kiribato 68% der Frauen mit Erfahrungen mit sexueller und physischer Gewalt durch den Partner konfrotiert. Der Durchschnitt in der Bevölkerung im pazifischen Raum liegt bei 40-60% für „gender-based violence“. Um diesem Verhalten entgegenzuwirken, muss der „narrative told about gender-based violence“ geändert werden. Dies soll zum Beispiel durch „gender dialogue“ geschehen. Noch immer spielen Männer, Kultur und Religion einen großen Faktor in der Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Im Falle der Kinder wurde mir immer versichert, dass es keine Gewalt in der Erziehung der Kleinsten gäbe, dabei muss man aber im Hinterkopf behalten, dass das Verprügeln und Verletzen von Kindern nicht als Gewalt interpretiert wird, sondern als normale Erziehungsmaßnahme angesehen wird. Dies ist mit „narratives“ gemeint: Offensichtliche Gewalt, Unterdrückung und Missbrauch wird nicht als solcher verstanden und somit auch nicht erkannt. In vielen Gesprächen mit den Einwohnern wurde mir von Seiten der Männer erklärt, dass Frauen eben eine „harte Hand“ bräuchten, die sie führt oder dass man Kinder, besonders Jungen, eben einfach täglich verprügeln muss damit sie lernen was Respekt ist. Dass bei diesen Methoden Respekt mit Angst und Vaterliebe mit Brutalität verwechselt wird, ist ihnen nicht bewusst. Oftmals versucht man mir diese Methoden theologisch mit Bibelverweisen zu erklären. Beim genaueren Nachhacken und auf die Frage hin „Würde Jesus wollen, dass du deinen Sohn mit einem Knüppel schlägst?“ stockte dann in den meisten Fällen die Unterhaltung.

Wenn man die letzten Abschnitte liest, ist es um so erstaunlicher zu sehen, was Rusila für eine andere Art Frau ist als der Durchschnitt im Pazifik. Sie ist schlagfertig, nimmt kein Blatt vor den Mund und argumentiert ohne Punkt und Komma gegen alles und jeden. Sie steht für die Rechte und Selbstbestimmung der Frauen ein und gibt dazu öffentlich ihre Meinung kund. In einer „culture of silence“ (Kultur des Schweigens), in der Frauen nur die Aussenseiten der sozialen Integration und Interaktion gewährt sind, ist ihr Auftreten schon fast eine Provokation für Männer mit einem traditionellen Weltbild. Neben ihrem Job am PTC und den damit verbundenen Pflichten macht sie an eben diesem Institut ihren Master, hat letztes Jahr geheiratet und ist Mutter einer sechs Monate alten Tochter. Das macht sie alles ohne mit der Wimper zu zucken. Rusila ist der Beweis, dass sich nicht jede Frau im „flüssigen Kontinent“ unterdrücken lässt und zugleich, dass ein sozialer, gesellschaftlicher Wandel bereits eingetreten ist. Der Pazifik ist mit all seinen Problemen sicherlich nicht die unschuldige Perle der Natur, wie es uns unsere europäische Südsee-Romantik so oft verkaufen will. Doch es liegt an der Betrachtungsweise des Ganzen: Wenn man die Probleme als Chancen und Möglichkeiten sieht, dann erkennt man, dass die Karten neu gemischt werden können und auch werden, sagt sie. Man darf eben halt nicht zulassen, dass die Last an Problemen die Einsicht nimmt, dass man seinen Kontext ändern kann!


Diesen Beitrag teilen:


Schreibe einen Kommentar


Pflichtfelder sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet.

Der Kommentar muss noch freigegeben werden, bevor er im Artikel erscheint.