Die Katechisten auf den Salomonen haben eine wichtige Rolle. Für viele der Gemeinden gibt es nicht genügend Priester. Manchmal schafft es ein Priester nur einmal im Monat vor Ort zu sein, um die Messe zu lesen oder die Beichte abzunehmen.Deshalb unterstützen die Katechisten die Priester tatkräftig bei den alltäglichen Aufgaben.
Das NAC, dessen Leiter Father Clement ist, greift genau an dieser Stelle ein und möchte durch seine Ausbildung die nächste Generation von „leadern“ und „agents of change“ ausbilden. Das Katechisten-Programm läuft über zwei Jahre und ist direkt mit der wichtigen Rolle von Laien in der Ortskirche verbunden. Die zwei Jahre sind in vier Blöcke mit jeweils 16 Wochen Ausbildung aufgeteilt, welche durch eine zweimonatige Unterbrechung im Dezember und Januar voneinander getrennt sind. Diese zwei Monate dienen allerdings nicht der Erholung und dem entspannten Beobachten von Vögeln. Diese acht Wochen verbringen die Studenten in ihnen zugeteilten Pfarreien um ihr zukünftiges Arbeitsfeld kennenzulernen. Mit einfachen Worten: ein Praktikum. Normalerweise finden Studenten unbezahlte Praktika ja eher uncool und freuen sich auf den Moment, mit erleichtertem Grinsen sein Praktikumszeugnis entgegennehmen zu dürfen. Die Katechisten des NAC freuen sich im Gegensatz dazu auf ihre Aufgaben und sind voller Stolz, dass man ihnen diese verantwortungsvolle Aufgabe zutraut. Man muss auch verstehen, dass diese Stellung in ihrem kulturellen Kontext mit viel Prestige und Einfluss verbunden ist. Eben dieser Einfluss führt auch zu der obengenannten Bezeichnung „agents of change“. Während ihrer Ausbildung erhalten sie nicht nur die nötigen Fähigkeiten eine Gemeinde zu leiten und zu organisieren. Sie erhalten nämlich ein viel wichtigeres Werkzeug: Kritisches Denken. In einem traditionellen Umfeld ist das Infrage-Stellen und Überdenken von Handlungsweisen fast schon eine gefährliche Handlung, da bestehende Machtstrukturen und soziale Gefüge angegriffen werden könnten. Auch die stark hierarchische Dorfstruktur und Rollenverteilung mit ihrer – aus unserer europäischen Sicht – autoritär bezeichneten Art stehen Neuerungen und Anpassungen an veränderte Kontexte eher im Weg. Sich selbst und seine Kultur kritisch durch das Evangelium zu betrachten, ist eines der Hauptziele der Ausbildung.
Auf dem Bild seht ihr eine Gruppe von Kindern in der Kirche von Red Beach. Den Namen hat das Dorf seit dem Zweiten Weltkrieg als die Streitkräfte der USA und Japan einen erbitterten Kampf um die Inselgruppe und vor allem um die Hauptinsel Guadalcanal führten. Hunderte Soldaten verloren dabei ihr Leben und ihr Blut färbte die Strände am Pazifik rot. Viele der Einheimischen erzählen gerne Schauergeschichten von Geistern der toten Soldaten, welche nachts an Türen klopfen oder Menschen auf dem Heimweg ein Stück begleiten oder erschrecken wollen.
Die Region Ozeanien, mit gerade einmal knapp 10 Millionen Bewohnern umfasst ein unvorstellbar riesiges Gebiet von Hawaii, Neuseeland bis hinter Neu-Guinea und wird in drei verschiedene Kulturbereiche eingeteilt: Melanesien, Mikronesien und Polynesien. Während meiner Reise besuche ich leider „nur“ den melanesischen Raum, welcher Flores/Indonesien, Neu-Guinea, Neu-Kaledonien, Fidschi und die Salomonen umfasst. Diese Begriffe sind von außen eingetragene Fremdbeschreibungen, welche erst durch die Kolonisierung auftraten. Die Bewohner selbst benutzen diese Begriffe eher selten und wenn, dann nur um mir etwas zu erklären und verständlich zu machen, wo welche Inselgruppe zu finden ist.
Ein paar Tage später treffe ich einen gut gelaunten, grauhaarigen Iren, der sich als Adrian Smith entpuppte und der ehemalige Erzbischof von Honiara war. Nachdem ich neugierig auf seine Eindrücke der letzten Jahrzehnte wurde, verwies er auf sein Gefängnis-Pastoral-Projekt, dass auf „Reconciliation“, also Versöhnung,c setzt und darauf ausgelegt ist, dass Gefangene einsichtig werden und später die Versöhnung mit der Familie der Geschädigten oder Opfer möglich wird. Inwiefern dieses Konzept wichtig für den Kontext der Salomonen ist, erfahre ich am nächsten Tag, als ich Glins Cley treffe.
Glins war Strafvollzugsbeamter in Honiara und ist ein taffer Kerl, dem man direkt ansieht, dass er seine Rolle ernst nimmt. Nachdem er fast 12 Jahre im Gefängnis von Honiara gearbeitet hat und aus erster Hand miterlebt hat, wie die Gefangenen sich verhalten und aus welchen, oft banalen Gründen sie ihre Zeit im Gefängnis verbringen müssen, wollte er sich dafür einsetzen, dass das alte System der Bestrafung sich in ein „Correctional“-System ändert.
Er wechselte vom Gefängnis zum „rehabilitation department“ und arbeitet seitdem mit Kirchen und NGO`s zusammen, um den Verurteilten zur Einsicht und Reintegration in die Gesellschaft zu verhelfen. Bei diesen Programmen stellte sich heraus, dass es keinen Master-Plan gibt, der jedem Gefangenen in seiner individuellen Situation in die richtige Richtung hilft. „One size fits all“ funktioniert einfach nicht und deshalb wird mit jedem Einzelnen ein individueller Reintegrationsplan erstellt und hoffnungsvoll umgesetzt.
Er selbst sieht die Wurzel des unheilvollen Verhaltens in den „broken families“ (zerrüttete Familien), welche zu weniger sozialen Kontrolle und im Folgeschluss zu mehr Verlockungen und Straftaten führen. Die angefressene Moral wird von Gangs und schlechtem Einfluss unterstützt und „peer pressure“, sowie Drogenkonsum, besonders Alkohol, geben der Seele dann den Rest. Das Resultat sind oft extrem traumatisierte Opfer, wütende Familien und auseinandergebrachte Gemeinschaften. Hat der Täter seine Strafe einmal abgesessen, drohen ihm in Freiheit die Rache der Familie seines Opfers, Stigmatisierung durch die Gesellschaft und in der Folge Ausschluss und Rückfall in kriminelle Muster. Die meisten der Häftlinge berichten davon, dass sie sich erst wieder in der Gemeinschaft des Gefängnisses komplett akzeptiert und integriert fühlen, weil sie dort keine Ausgrenzung mehr erfahren und tauchen nach und nach in eine „jail culture“ (Gefängniskultur) ein.
Glins greift an der Stelle der Freilassung mit seinen glaubensbasierten Programmen ein und versucht Geschädigte und Verurteilte an einen Tisch zu bringen und die traditionelle Lösungsweise der Versöhnung aufleben zu lassen. Diese sieht meist so aus, dass es auf der Opferseite weniger um eine Entschädigung geht, wie man es aus europäischen Gemeinschaften kennt. Dies würde auch implizieren, dass reichere Personen Straftaten begehen können und sich im Nachhinein aus der moralischen Verpflichtung freikaufen können. Auf den Salomonen besteht die Erwartung, dass der Täter seine Schuld einsieht und gesteht und das Opfer samt Familie/Clan um Verzeihung bittet. Die Tradition verlangt nun von der Familie des Opfers diese Versöhnung anzunehmen und besiegelt die „reconcilitation“ mit Umarmungen und Tränen. Diese Momente, so sagt Glims, sind die wohl emotionalsten die man erleben kann, aus dem einfachen Grund, dass der Streit nicht nur Einzelpersonen umfasst, sondern ganze Familien und Clans gegeneinander aufbringt und dadurch sogar je nach Umfang und Position des Täters und Opfers Unruhe in Regionen und Gemeinschaften ausbrechen können. Eine Versöhnung bedeutet somit Frieden für eine Bevölkerungsgruppe und Frieden im Land. Der praktische Nebeneffekt dieser Aktion besteht darin, dass der Täter keine Stigmatisierung zu befürchten hat und wieder in seiner Gemeinschaft vollkommen akzeptiert wird und keine Flucht in seine „jail culture“ antreten muss.
Wenn man sich dieses Konzept vor Augen hält, fallen einem sofort Bilder aus der Grundschulzeit ein, als die Lehrerin uns Schüler „gezwungen“ hat sich die Hand zu geben und zu vertragen. Man darf die Arbeit der Versöhnungsräte jedoch nicht zu naiv betrachten, immerhin werden sie von der Regierung anerkannt und gehören mittlerweile zum festen Bestandteil der Justizarbeit in Honiara. Die fünf größten christlichen Gemeinschaften beteiligen sich an diesem Projekt und haben in ihren Gemeinschaften Zeit und Geld für die Reintegration und Versöhnung eingeplant.
Innerhalb von nur 13 Jahren hat es Glins geschafft ein wenig mehr Frieden in den, durch die „tensions“ (Spannungen) geplagten Staat zu bringen. Von 1998 bis 2003 haben sich ethnische Grabenkämpfe auf den Inseln zu einem Lauffeuer der Gewalt entwickelt und über 200 Menschen sind in diesem Zeitraum ums Leben gekommen. Dieses Loch im Herzen der betroffenen Familien macht sehr deutlich, wie sehr Glins Projekt seit seiner Einführung im Jahre 2006 von Nöten war.
Neben der Versöhnungsarbeit investiert sich Glins noch in einer Reihe anderer Projekte die auf „peace building“ ausgerichtet sind und „traditional leaders“ und „urban community leaders“ einschließen. Der Unterscheid zwischen den „leaders“ besteht in ihrem Kontext. Während der „traditional leader“, wie der Name schon sagt, in traditionellen Gemeinschaften für Ordnung sorgt, ist der „urban Community leader“ eher in der Stadt und den Vororten angesiedelt und hat keine indigene, religiöse Legitimation wie seine Kollegen im Outback. Er wird durch seine Arbeit in der Gemeinschaft als „big man“ oder ehrbare Person angesehen. Die Aufgaben im urbanen Gebiet unterscheiden sich in der Hinsicht, dass die Mitglieder im städtischen Umfeld aus verschiedenen Kulturen und Inseln stammen und es somit innerhalb dieser neuen Zusammenkunft auf anderen Gebieten kracht. Er wird auch als Vermittler und gute Seele in seinem Viertel gesehen.
Für diese Art von Führern gibt Glins Trainings in „peace building“ und „restorative justice“, welche darauf ausgerichtet ist, gewisse Probleme in der Gemeinschaft zu lösen, statt direkt auf die Justiz zurück zu greifen. Auch dieser Prozess führt dazu, dass junge Straftäter nicht in die Mühlen des Rechtssystems fallen und möglicherweise in den nächsten Jahren zu gefährlichen Wiederholungstätern mutieren.
Honiara, die Hauptstadt des Inselstaats, ist die Heimat von knapp 90.000 Menschen und somit von 10% der Gesamtbevölkerung. Diese Stadt ist nicht auf dem Reisbrett entstanden und folgt keinem städteplanerischen Denken. Vielmehr baut jeder auf eigene Faust drauf los und hofft, dass es irgendwie mit Wasserversorgung und Elektrik klappt. Das Stadtbild ist geprägt von hohen Zäunen und Stacheldraht, von herunterbaumelden Stromkabeln und dem allgegenwärtigen Müll. Nachts ist es meist ruhig, in Hinterhöfen und versteckt liegenden Bars beginnt jedoch das Nachtleben und auf den meist unbeleuchteten Straßen beginnen viel zu junge Mädchen die illegale Arbeit als Prostituierte. Dadurch, dass die meisten Zugezogenen zum ersten Mal in ihrem Leben das wohl organisierte und strukturierte soziale Gefüge ihres Dorfes verlassen, sind sie extrem anfällig für Laster wie Sexarbeit, Drogen und Gewalt. Die für sie unbekannte Einsamkeit und fehlende soziale Einbindung führen auch oft zu psychischen Problemen, die durch neue Laster verstärkt werden. Ist man in den Dörfern durch soziale Netze vor Armut und Hunger geschützt, kostet jeder Tag in der Großstadt viel Geld. Miete, Nahrungsmittelpreise und Transportkosten sind für sie bisher Fremdwörter gewesen und müssen durch eine geregelte Arbeit finanziert werden. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, was meist eine Maximierung von Luxusgütern oder einen Zugang zu höherer Bildung bedeutet, finden sich viele am äußersten sozialen Rand wieder. Ihnen bleibt oft nur die Möglichkeit in prekären Verhältnissen als Tagelöhner, oder im besten Fall als „wage slave“ zu leben, übrig. All diese Faktoren machen Honiara zu einer Zeitbombe, an deren Entschärfung Glins mit Hilfe der Kirchen arbeitet.
Wie laut diese Zeitbombe tickt haben die Wahlen im April gezeigt, als Gruppen von jungen Männern randalierend durch die Straßen gezogen sind, um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen. Sie verstehen nicht den Wert ihres Lebens und geben es gerne für etwas her, von dem sie keine Ahnung haben und nicht merken, dass sie nur Werkzeuge für raffinierte wirtschaftliche Machtstrukturen sind. Aus diesem Grund ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche den jungen Menschen ihren Wert zu zeigen, unabhängig von Alter und Geschlecht.
Die Arbeit im Umfeld von Honiara wird durch Regierungswechsel alle paar Jahre unterbrochen, da nach Neubildung im Parlament alle Finanzen neuverteilt oder neuverhandelt werden müssen. Dies fällt in der Regel zu Ungunsten von NGO’s aus und behindert somit über Monate hinweg ihre Arbeit. Somit ist die finanzielle Unterstützung durch die Kirche und deren Entwicklungsarbeit von großer Bedeutung für die Menschen.
Glins Aussicht auf die nächsten Jahre sind nicht rosig, falls sich nichts ändert. Besteht der Status Quo weiterhin, verwandelt sich die Hauptstadt in ein riesiges Gefängnis. Ein Gefängnis, das sich jeder um sein Haus selber bauen muss und um die Kriminalität vom Garten zurück auf die Straße zu drängen. Zustände wie in Port Moresby prophezeit er. Eine Stadt in der jedes Haus von Meter hohen Mauern, Wachdiensten und automatischen Toren gezeichnet ist. Als Lösung sieht er die Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Viertel und der damit zusammenhängenden Verantwortung für seine Umgebung zu sorgen, so wie es die Leute aus ihren Dörfern kennen.
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