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„Schweigen kann gefährlich sein!“

Akteurinnen und Akteure aus Politik, Wissenschaft, Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaft diskutieren über Religionsfreiheit und Populismus

Schon im Jahr 2019 hat missio die „Aachener Gespräche“ initiiert, um politische, wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und religiöse Akteure zum Thema Religionsfreiheit zusammenzubringen. Am 14. November 2022 fand eine weitere Veranstaltung in dieser Reihe statt – nach einer erfolgreichen Kooperation im März 2021 erneut in Zusammenarbeit mit Justitia et Pax. Über 120 Teilnehmende beschäftigten sich dieses Mal intensiv mit dem Thema Religionsfreiheit und Populismus. Auch der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe MdB, war anwesend, um über politische Handlungsoptionen zu diskutieren.

Mentimeter-Umfrage: „Which organisation or party do you belong to?” Grafik: missio
Mentimeter-Umfrage: „Which organisation or party do you belong to?” / Eine Übersicht der Organisationen und Parteien, die an der Fachkonferenz Religionsfreiheit und Populismus teilgenommen haben.

Populismus als Bedrohung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Der Geschäftsführer von Justitia et Pax, Dr. Jörg Lüer, und unser Vizepräsident Dr. Gregor von Fürstenberg formulierten zu Beginn die Problemstellung: Der Populismus entwickelt sich zunehmend zu einer Bedrohung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ist zu beobachten, dass rechtspopulistische und -extremistische Kräfte versuchen, Themen wie Religionsfreiheit und Christenverfolgung für sich zu vereinnahmen. Dabei verzerren sie das Konzept der Religionsfreiheit und lösen es aus dem Kontext des Menschenrechtsansatzes. Kirchliche Organisationen, so wurde deutlich, stehen in der besonderen Verantwortung, die Aufmerksamkeit auf diese Problematik zu len-en und zu einer breiten gesellschaftlichen Gegenreaktion beizutragen.

In einem ersten Beitrag skizzierte Prof. Heiner Bielefeldt, der von 2010 bis 2016 UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit war, welchen Missverständnissen das Menschenrecht auf Religionsfreiheit generell ausgesetzt ist. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, so hob er hervor, spielt auch in der heutigen Welt noch eine unverzichtbare Rolle. Sie steht für die Einsicht, dass Menschen tiefe identitätsstiftende Überzeugungen entwickeln können, nach denen sie ihr Leben ausrichten. Als Freiheitsrecht eröffnet die Religions- und Weltanschauungsfreiheit den Raum für sehr unterschiedliche Positionen und Ausprägungen gegenüber der Religion. Es umfasst zwar traditionelle Formen des Glaubens und der religiösen Praxis, schließt aber auch nicht-traditionelle Religiosität (z. B. religiöse Reformbewegungen) oder nicht-religiöse Ansichten (z. B. Atheismus) ein.

Einen systematischen Überblick über die gängigen Muster populistischer Vereinnahmung und Umdeutung von Religionsfreiheit lieferte im Anschluss Dr. Bernd Hirschberger. Akteure zweckentfremden Begriffe wie Religionsfreiheit und Christenverfolgung, um sie für die eigene Agenda zu instrumentalisieren. So wird Religionsfreiheit etwa selektiv und klientelistisch ausgelegt. Sie wird für die eigene Religionsgemeinschaft, das heißt in der Regel für das Christentum als die Mehrheitsreligion in Europa, eingefordert. Für andere religiöse und weltanschauliche Gruppen, insbesondere für muslimische Minderheiten, werden hingegen Einschränkungen verlangt. Ein weiteres Muster rechtspopulistischer Akteure bei der Instrumentalisierung der Religionsfreiheit besteht darin, legitime Kritikpunkte mit problematischen bis menschen-verachtenden Narrativen und Ressentiments aus dem Spektrum rechter Ideologien zu vermengen. So wird beispielsweise die Forderung nach einem stärkeren Einsatz gegen Gewalt, die sich in bestimmten Regionen explizit gegen Christinnen und Christen richtet, immer wie-der mit Thesen zu einer angeblichen „Islamisierung Europas” vermengt.

In verschiedenen Länderkontexten hochrelevant

Die darauffolgenden Länder-Spotlights zeigten, dass das Thema Religionsfreiheit und Populismus in verschiedenen Kontexten hochrelevant ist. Dr. Regina Elsner berichtete eindrücklich davon, wie in Russland die Rede vom Schutz (vermeintlich) christlicher Werte als Vorwand für eine illiberale Politik dient und wie die Ukraine zum Schlachtfeld für einen „metaphysischen“ Kampf wird. Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick zeigte mit Blick auf Deutschland, welche islamophoben Tendenzen sich hinter dem vermeintlichen Einsatz für Religionsfreiheit verbergen, und führte beispielhaft die Debatten um den Bau von Minaretten und die Zulassung des Muezzin-Rufs an. Dr. Eva Maria Lassen lenkte den Blick auf Dänemark und zeigte unter anderem ausgehend von der vergangenen Diskussion um ein mögliches Predigtgesetz, das die Übersetzung sämtlicher fremdsprachlicher Predigten ins Dänische vorsah, wie die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Land unzulässig eingeschränkt wird. Dr. Thiago Alves Pinto berichtete aus Brasilien und analysierte den Rückgriff populistischer Kräfte auf den Menschenrechtsdiskurs. Die Rede von kulturellen Werten birgt auch hier die Gefahr einer Umdeutung der Religionsfreiheit. Lateinamerika bezeichnete er als „Kontinent des Populismus“. Abschließend führte Prof. Dr. Renáta Uitz in den ungarischen Kontext ein. Am Beispiel des Budapest Report on Christian Persecution, der 2021 im vierten Jahr in Folge von der ungarischen Regierung herausgegeben worden ist, werden typische Muster der populistischen Vereinnahmung der Religionsfreiheit deutlich. Frau Uitz hob das in Ungarn durch populistische Kräfte verbreitete Opfernarrativ hervor, das zur Rechtfertigung einer illiberalen Politik herangezogen wird, die insbesondere die Rechte der lokalen christlichen Mehrheit schützen will.

Populistischer Vereinnahmung entgegenwirken

Besonders interessant war es, im zweiten der Teil der Veranstaltung mit Frank Schwabe ins Gespräch zu kommen. Er betonte, dass er dazu beitragen möchte, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu entwickeln, dass Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein zentrales Menschenrecht ist und in die Mitte der menschenrechtspolitischen Debatte gehört. Dabei griff er den bereits von Heiner Bielefeldt verwendeten Begriff der Vulnerabilität auf: In der Debatte um die Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind insbesondere diejenigen zu hören, die nicht zur Mehrheitsreligion gehören und somit in besonderer Weise „verletzlich“ sind. Die SPD, so Schwabe mit Blick auf seine eigene Partei, hat in der Vergangenheit durchaus mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit „gefremdelt“. Diese Distanz gilt es – nicht zuletzt auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses von Religions- und Weltanschauungsfreiheit – zu überwinden. Im nationalen und internationalen Kontext sieht Herr Schwabe Luft nach oben, und zwar sowohl was die Zusammenarbeit in politischen Bündnissen angeht als auch mit Blick auf die Rolle der Religionsgemeinschaften in internationalen Foren.

Petra Pau MdB, Sprecherin für Religionspolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag, betonte in der Diskussion, dass es eine schonungslose Auseinandersetzung mit der populistischen Vereinnahmung und Umdeutung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit braucht. Auch ihre eigene Partei ist ihrer Meinung nach nicht vor einem eingeschränkten Verständnis von Religionsfreiheit gefeit. Es gilt, immer wieder im positiven Sinne zu „provozieren“ und zu zeigen, in welcher Breite das Menschenrecht auf Religionsfreiheit in unserer Gesellschaft verankert ist. Entsprechende Foren für Bildung, Aufarbeitung und Dialog zu suchen, sieht sie als eine bleibende Aufgabe für politische, zivilgesellschaftliche und religiöse Akteure in Deutschland.

Screenshot: Katja Voges / missio
Teilnehmer/-innen während der Online-Konferenz.

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin verwies darauf, dass es beim Rechtspopulismus immer um die Konfliktlinie „Wir gegen Euch“ geht. Mit Blick auf die Religionsfreiheit bedeutet dies, dass der Rekurs auf Religion einem „Artenschutz“ gleicht, bei dem Bestehendes gegen eine vermeintliche Bedrohung verteidigt wird. Da es beim Einsatz für ein menschenrechtliches Verständnis der Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht nur um Wissen, sondern um Handlungsmacht geht, ist eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure unerlässlich. Zu seinem Plädoyer für den interreligiösen Dialog und ein Kennenlernen verschiedener Lebenswelten gehört sein Wunsch, dass konfessionelle Schulen offensiv islamischen Religionsunterricht anbieten.

Christine Böckmann, Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Sachsen-Anhalt, wies darauf hin, dass Populistinnen und Populisten sich selbst als „vulnerable“ Gruppe ansehen und somit blind für die Situation derjenigen sind, die sie als Feindbilder stilisieren. Ihrer Meinung nach geht es nicht nur darum, über entsprechende Argumentationsmuster und Strategien aufzuklären, sondern auch an Haltungen zu arbeiten. Um auf gesellschaftliche Vielfalt und Menschenrechte aufmerksam zu machen, braucht es Mut und „verrückte Ideen“. Auf jeden Fall muss das Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit von menschenrechtlich engagierten Akteuren besetzt werden. Böckmanns Fazit lautet: „Schweigen zu bestimmten Themen kann gefährlich sein!“

Stimmungsbild für künftige Veranstaltungen

Zum Abschluss der Veranstaltung konnte ich über eine digitale Abfrage ein Stimmungsbild mit Blick auf zukünftige Themenschwerpunkte erheben. Besonderes Interesse wurde an dem Zusammenhang von Religionsfreiheit und Social Media geäußert. Gerade mit Blick auf das diesjährige Thema Religionsfreiheit und Populismus stellt sich die Frage, wie in den sozialen Medien einer populistischen Stimmungsmache begegnet werden kann. Von den Teilnehmenden kamen zahlreiche weitere Impulse. An relevanten Themen, so wurde deutlich, wird es auch in Zukunft nicht mangeln.

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