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Zentralafrikanische Republik: Kampf der Kirche gegen Angst und Gewalt

Am 15. November 2018 überfielen Milizen ein Flüchtlingslager auf dem Gelände der Kathedrale von Alindao in der Zentralafrikanischen Republik – während in Sichtweite stationierten Blauhelme tatenlos zusahen. Noch immer leben 17.000 Binnenvertriebene – Frauen, Männer und Kinder – in Zelten auf dem Kirchengelände. „Von Sicherheit kann man nicht sprechen“, sagt der Bischof von Alindao, Cyr-Nestor Yapaupa. Der 49-Jährige hat sich entschieden: für die Menschen, die ihm anvertraut sind und gegen die Angst. Mit dem Bischof sprach Beatrix Gramlich, Chefredakteurin der missio-Zeitschrift kontinente ».

Foto: Gabriele Zumbe / missio
Bischof Cyr-Nestor Yapaupa (rechs), ist Bischof in Alindao in der Zentralafrikanischen Republik. Er besuchte im August 2019 missio, um über die Lage in seinem Land zu berichten, dass von Gewalt heimgesucht wird. Ihn begleitete missio-Referent Burchard Schlömer.

Herr Bischof, wie sicher ist die Lage in der Zentralafrikanischen Republik?

In einigen Städten der Zentralafrikanischen Republik, insbesondere in der Hauptstadt Bangui, hat sich die Sicherheitslage seit Jahresanfang durch die Präsenz der UN-Blauhelme und des zentralafrikanischen Militärs verbessert. In den Provinzen im Zentrum und im Westen des Landes haben die Präfekten ihre Arbeit wieder aufgenommen. Auch ein Gutteil der Schulen funktioniert seit diesem Jahr wieder.

Und wie sieht es in Alindao aus?

Der Osten und Südosten, wo die Diözese Alindao liegt, werden noch immer von Milizen kontrolliert. Von Sicherheit kann man nicht sprechen. Die Lage in Alindao ist immer noch angespannt, weil es sich in den Händen der UPC-Rebellen (Unité pour la Paix en Centrafrique) befindet. Sie kontrollieren die gesamte Region Basse-Kotto, in der auch Alindao liegt. Die Milizen machen ihre eigenen Gesetze. Aufgrund dieser Sicherheitsprobleme können die Kinder seit zwei Jahren nicht zur Schule gehen. Die Milizen haben viele Straßensperren errichtet und blockieren damit den Verkehr. Sich von einer Stadt in die nächste zu bewegen, ist gefährlich. Wenn ich von einer Pfarrei in die nächste will, muss ich manchmal vier, fünf Straßensperren passieren. Manchmal halten die Rebellen mich fest und verlangen Geld.

Sind Sie als Bischof für die Rebellen eine Respektperson?

Ich glaube nicht. Die meisten sind Muslime vom Volk der Peul und nicht sehr gebildet. Sie haben die Waffen und damit das Sagen. Das macht es so gefährlich.

Haben Sie manchmal Angst?

Angst kann man immer haben. Aber ich habe meine Wahl getroffen. Ich habe mich für die Option für die Armen entschieden und dafür, bei ihnen zu bleiben. Zu den Menschen, zum Volk Gottes zu gehen, das von der Regierung aufgegeben wurde, ist eine Entscheidung, für die man vielleicht viel Mut braucht. Für mich ist es ein persönliches Opfer, um den Menschen, meinem Volk nahe zu sein. Wenn man sich dafür entschieden hat, kann den Schwierigkeiten begegnen. Dann hat die Angst keinen Platz mehr. Ich erinnere mich an den 15. November, als Rebellen der UPS das Bischofshaus angegriffen haben. Ich habe ihnen gesagt, ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich bleibe hier.

Wir als Kirche haben immer betont, dass es kein Religionskonflikt ist.

Was sind die Ursachen des Konflikts in der Zentralafrikanischen Republik?

Wir als Kirche haben immer betont, dass es kein Religionskonflikt ist. Wer von einem Religionskonflikt spricht, tut das, um das Volk zu täuschen. Ich glaube, es geht vor allem um den Reichtum unseres Landes. Wir sind das Opfer unserer Bodenschätze: Gold, Diamanten, Öl, Eisen, Uran. Milizen kontrollieren vor allem die Regionen, in denen es  Bodenschätze gibt. Deswegen sind sie auch in Alindao: Weil es hier Gold und Diamanten gibt. Der zweite Grund für den Konflikt sind politische Interessen –unserer afrikanischen Politiker, aber auch Frankreich ist als ehemalige Kolonialmacht beteiligt. Frankreich war hier, um Uran auszubeuten. Das Problem fing an, nachdem Präsident Bozizé eine südafrikanische Firma angefragt hatte, hier Bodenschätze auszubeuten. Frankreich war nicht einverstanden. Damals haben sich Milizengruppen gebildet. Mit dem Öl war es dasselbe. Als ein chinesisches Unternehmen kam, um es zu fördern, begannen die Probleme. Dieser Konflikt ist kein Religionskonflikt. Christen und Muslime haben in unserem Land schon immer zusammengelebt. Wir hatten einen liberalen Islam. Aber seit viele Milizen aus anderen Ländern, aus dem Sudan, dem Tschad hierher gekommen sind, sind die Dinge schwieriger geworden. Diese Muslime haben keinen Respekt vor den Muslimen aus der Zentralafrikanischen Republik, weil sie sie nicht als wahre Muslime betrachten. Sie haben auch den Imam, mit dem Kardinal Dieudonné zusammenarbeitet, abgelehnt.

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Wie kann man diesen Konflikt lösen?

Ich glaube, es könnte gelingen, ihn zu lösen, wenn man nach den wahren Ursachen suchen würde. Es ist nicht gut, wenn man nur seine eigenen Interessen verfolgt und das Volk, das leidet, vergisst. Ein anderer Punkt ist, dass wir viele fremde Milizen ins Land gelassen haben. Wenn sie nicht entwaffnet werden und in ihre Heimatländer zurückkehren, werden die Probleme andauern. Die Rebellengruppen haben zwar auf Initiative der Afrikanischen Union in Khartoum ein Abkommen mit unserer Regierung unterzeichnet, aber sie halten sich nicht daran. Es wurde vereinbart, dass sie Straßensperren aufgeheben werden, die Zivilbevölkerung nicht angreifen. Aber das passiert nicht. Die Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, weil sie von Rebellen besetzt sind. Sie können nicht von einem Dorf zum anderen gehen, weil die Milizen ihnen auf der Straße ständig Geld abknöpfen. Es keine Märkte, keinen Kleinhandel. Die Dinge für den täglichen Bedarf werden immer teurer. Solange es diese bewaffneten Gruppen gibt, verhindert das, dass Frieden einkehrt.

Bei uns wird der Krieg zum Geschäft. Rebellen, Präsident, Minister - sie alle profitieren davon.

Ist der Krieg selbst ein Geschäft?

Ja, bei uns wird der Krieg zum Geschäft. Rebellen, Präsident, Minister – sie alle profitieren davon. Sie vergeben die Schürfrechte für Bodenschätze. In der Bischofskonferenz bereiten wir gerade ein Kolloquium zu dem Thema Krieg als Geschäft vor.

Welche Rolle spielt die Kirche in diesem Konflikt?

Ich sage immer, die Kirche spielt die Rolle einer Mutter. Die Mutter ist diejenige, die das Herz hat, alle aufzunehmen. eine Mutter verschließt nie ihre Hände und nie die Tür. Auch als wir selbst in unserer Diözese angegriffen wurden, haben wir alle aufgenommen – Christen wie Muslime. Das ist ein Zeugnis für unsere Kirche, Gastfreundschaft ist unsere erste Aufgabe. Wir arbeiten für den Frieden und nicht für den Krieg.

Gibt es kirchliche Friedensinitiativen?

Wir haben interreligiöse Plattformen, in der sich der Bischof, Priester, protestantische Pfarrer und Imame engagieren. Alle religiösen Gruppen arbeiten da zusammen. Wir bieten Kurse zur Sensibilisierung an – vor allem für Jugendliche. Denn sie sind diejenigen, die am meisten von den Rebellen und der Aussicht auf Geld angelockt werden. Wir arbeiten auch mit Frauen. Denn mit einer Frau erreicht man mehrere Personen: Eine Frau spricht mit ihren Kindern, sie spricht mit ihrem Mann.

Wie viele Priester haben Sie in Ihrer Diözese?

Nicht viele: Zwölf Priester und zwei Seminaristen für fünf große Pfarreibezirke. In einer Pfarrei haben wir Spiritanerpatres und seit Oktober vergangenen Jahres auch kongolesische Ordensschwestern.

Am 15. November 2018 richteten Milizen der UPS ein Massaker unter den Flüchtlingen an, die die Kirche aufgenommen hatte. 20 000 Frauen, Männer und Kinder hatten zu der Zeit auf dem Gelände der Kathedrale Zuflucht gefunden. Was ist mit diesen Flüchtlingen passiert?

Nach dem Massaker sind einige aus Angst in ihre Dörfer zurückgekehrt, nach Bangui oder in andere Städte gegangen. Aktuell haben wir noch 17 000 Flüchtlinge. Sie leben immer noch in Zelten. Ihre Häuser sind zerstört, niedergebrannt.

Wie unterstützt die Kirche die Flüchtlinge?

Glücklicherweise kommt mittlerweile humanitäre Hilfe an. Die Caritas der Diözese arbeitet mit dem Welternährungsprogramm zusammen. Gemeinsam helfen wir mit Nahrungsmitteln – Reis, Bohnen, Öl, Salz, Sojamehl. Manche andere Nichtregierungs-Organisationen kommen hin und wieder. Zum Beispiel haben wir vergangenen Monat mit dem Catholic Relief Service Kochgeschirr verteilt: Töpfe, Eimer, Schüsseln, Wasserkanister, Besteck, Gläser, aber auch Decken. Wir haben auch Decken und Kleidung verteilt. Die holländische Caritas kümmert sich um ein Gesundheitszentrum. Die Ärzte ohne Grenzen waren auch eine Zeitlang hier.

Die Blauhelme haben mir nicht geholfen, als die Rebellen in das Bischofshaus eindrangen.

Unmittelbar nach dem Massaker gab es Kritik, die Blauhelme hätten die Bevölkerung nicht vor den Rebellen geschützt. Stimmt das?

Ich war  der Erste, der gesagt hat, dass die Blauhelme ihre Arbeit nicht gemacht haben. Die Blauhelme, die vor Ort waren, waren Komplizen der Milizen. Wir haben uns hingestellt, um das Flüchtlingslager zu schützen. Aber die Blauhelme haben nichts getan, um die Milizen aufzuhalten. Sie haben überhaupt nicht reagiert. Sie haben keine Schutzmauer gebildet, nicht einmal einen Warnschuss abgegeben. Sie hatten einen Checkpoint, 100 Meter von meinem Haus entfernt. Sie haben sich nicht einmal bewegt, als die Milizen in mein Haus eingedrungen sind, um alles zu plündern.

Aus welchem Land kamen die Blauhelme?

Aus Mauretanien. Es waren Muslime. Nach diesen Ereignissen haben alle, die hier waren, auch die Bevölkerung, eine Debatte über diese Blauhelme gefordert.

Sind die mauretanischen Blauhelme immer noch da?

Nein, sie hatten keinerlei Unterstützung mehr bei den Menschen. Jetzt haben wir Blauhelme aus Gabun und Nepal. Mit ihnen ist es besser. Es war für alle offensichtlich: Bevor die Blauhelme aus Mauretanien kamen, hatten wir Blauhelme aus Burundi. Sie haben ihre Arbeit gemacht. Einmal kamen Milizen – es war fast dieselbe Gruppe, fast dieselbe Mannstärke wie bei dem Massaker im November – aber sie haben sie zurückgedrängt. Sie haben gesagt: Nicht hier, hier ist ein Flüchtlingslager.

Warum wurden die Blauhelme aus Burundi von denen aus Mauretanien abgelöst?

Das wissen wir nicht. Wir haben nur eines Tages gesehen, dass Blauhelme aus Burundi dabei waren abzureisen und die aus Mauretanien kamen. Ihr Chef erklärte, das ganze Gebiet um Alindao sei unter Kontrolle von mauretanischen Blauhelmen.

Wie können missio und unsere Unterstützer den Flüchtlingen in Alindao helfen?

Es gibt Menschen, die traumatisiert  sind und Begleitung und psychologische Hilfe brauchen. Es gibt Menschen die alles verloren haben und unter freiem Himmel leben. Einige sind in ihre Dörfer zurückgekehrt – mit leeren Händen. Sie brauchen Werkzeug, um ihre Hütten wieder aufzubauen. Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorgani-sation der Vereinten Nationen) hat uns Saatgut gegeben. Wir sind jetzt dabei, es zu verteilen, damit sie ihre Felder bestellen können. Viele bleiben aus Sicherheitsgründen im Flüchtlingslager, arbeiten aber tagsüber auf ihren Feldern. Uns hilft es aber auch zu wissen, dass es Menschen gibt, die an uns denken und für uns beten. Wir haben nicht nur das Materielle, sondern auch das Spirituelle. Das zählt viel. Ich sagen den Gläubigen in meiner Diözese immer: Man hat uns alles gestohlen, auch mir als Bischof. Aber es gibt eine Sache, die uns niemand stehlen kann: Das ist unser Glaube. Was man uns gestohlen hat, sind materielle Dinge. Aber der Glaube ist ein Reichtum für uns.

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