Samuel Koch ist vom Hals an abwärts gelähmt, seit er vor 14 Jahren in der „Wetten, dass...“-Show verunglückte. Er hatte versucht, mit speziellen Sprungstiefeln Saltos über fahrende Autos zu machen. Heute arbeitet er als Autor, Schaupieler und Redner. Im kontinente-Interview spricht er über Mut, Gott und eine besondere Form von Freiheit.
Was hat Sie nach Ihrem Unfall am Leben gehalten?
Zunächst die Notärzte und Intensivpfleger. Ich war in einem Zustand zwischen Koma und Schmerzattacken, vollgepumpt mit Opiaten. Vor 30 Jahren hätte ich einen solchen Sturz wohl nicht überlebt. Als ich registriert habe, dass ich nicht mehr selbstständig leben kann, dass alle meine Träume und Wünsche zerplatzt sind, habe ich mir die Frage gestellt: Warum will ich weitermachen? Was hat mein Leben noch für einen Sinn? Mein wunderbarer Freundeskreis, meine Familie und meine Kommilitonen haben mich damals ermutigt.
Wie denn?
Ein Dozent sagte zum Beispiel: „Klar kommst du zurück zur Schauspielschule. Wir haben dich nicht nur wegen deines Körpers engagiert.“ Er hat an mich geglaubt. Wir haben dann neue Wege gefunden, kreativ und fantasievoll zu sein. Viele Menschen haben mich am Leben gehalten, aber auch die Stille und meine Gebetszeit.
Hat sich Ihre Beziehung zu Gott verändert?
Ja, das würde ich schon sagen. Im Blick auf den „Beschützer-Gott“, den man aus dem Kindergottesdienst kennt, hat sich einiges relativiert. Ich habe nach dem Unfall viel gezweifelt, viel gehadert, auch geklagt. Alles, was ich wollte, war immer an Bewegung und Körper gekoppelt. Ich hatte keine Alternative für mein Leben. Wenn mich Leute fragen: „Wieso konntest du trotzdem an Gott festhalten?“, frage ich umgekehrt: „Ja, woran denn sonst? Ich hatte eben sonst nichts.“
Viele Menschen haben Angst vor Pflegebedürftigkeit. Sie sagen: lieber sterben als nur noch auf andere angewiesen zu sein. Was antworten Sie?
Meine Mama hat immer gesagt: „Es ist nicht zum Tode.“ Die meisten Dinge sind kein Genickbruch. Aber es stimmt natürlich schon, dass das Leben auf dieser Erde zu 100 Prozent zum Tode führt. Oft auch schmerzhaft. Da gibt es nichts zu beschönigen. Trotzdem kann man versuchen, anderen gut zuzusprechen. Ich habe einmal einem querschnittsgelähmten Jugendlichen, der lebensmüde war, gesagt: „Lass uns doch etwas Schönes gemeinsam finden, woran du festhalten kannst. Etwa die Aussicht auf einen Gleitschirmflug. Ich weiß, du liebst fliegen.“ Er hat wieder Mut gefasst.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat Sie einmal als „Mutmacher“ der Nation bezeichnet …
Damit tue ich mich schwer. Denn schlussendlich kann man keinen Mut machen. Den Mut zum Leben, zum Sterben, zum Weitermachen muss jeder in seiner Situation selbst aufbringen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Ratschläge manchmal auch Schläge sein können. Deswegen bin ich da vorsichtig. Aber ich versuche, mich an die Bibel zu halten. Dort heißt es immer wieder: Fürchtet euch nicht! Übrigens: Niemand, auch wenn er meint, er könne Bäume ausreißen, ist wirklich unabhängig. Niemand kann Freiheit leben, ohne dass jemand anderes morgens um vier Uhr aufsteht, um die Brötchen zu backen, in die Kanalisation hinabsteigt, um Rohre zusammenzuschweißen, die unsere Fäkalien fortschwemmen, ohne all die, die das Gesundheitssystem am Laufen halten. Viele sind an unserer vermeintlichen Freiheit beteiligt. Egal in welchem Zustand ein Mensch ist, es gibt kein Leben ohne Abhängigkeit. Das macht mich wiederum frei. Kann man das verstehen?
Ja, absolut! Blicken Sie mit Hoffnung auf Ihr Leben?
Mein Leben ist immer noch unfassbar – und manchmal täglich neu – beschwerlich. Ich glaube nicht, dass Gott Leid möchte, und hoffe darauf, dass die Dinge irgendwie zum Besten dienen können, auch wenn ich es jetzt noch nicht spüre.
„Schwerelos“ heißt Ihr neues Buch. Wollen Sie damit Menschen, die unter den Folgen von Pandemie, Krieg und persönlichen Schicksalsschlägen leiden, etwas Leichtes anbieten?
Ich wage zu behaupten, dass man die Schwere im Leben, in den Gedanken und Gefühlen niemals los wird, wenn man nicht einmal durch die Schwere durchgeht oder sich ihr stellt. Sie immer nur zu verdrängen ist keine Lösung. Entweder man kommt gerade aus einer Krise, steckt in einer drin oder steuert auf die nächste zu.
Das klingt nicht gerade aufmunternd …
Ich befürchte, es ist die Realität. Schwere gehört zum Leben dazu. Mein Buch ist interaktiv gestaltet, weil ich Menschen dazu animieren möchte, sich mit ihren Themen zu beschäftigen und nicht Lebensweisheiten von anderen zu kopieren. Ich frage mich und andere immer wieder: Was macht uns stark? Wie können wir mit schwierigen Situationen umgehen? Natürlich gibt es auf diese Fragen keine allgmeinen, leichten Antworten. Für mich gilt: sich selbst und anderen vergeben, loslassen, kreativ werden. Nicht nur darauf schauen, was nicht mehr geht, sondern auf das, was noch möglich ist und schön ist im Leben. Das Gute, was da ist, wahrnehmen, Dankbarkeit entwickeln. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Für jeden sind andere Dinge wichtig.
Was ist für Sie das Beste am Schauspieler-Dasein?
Dass man Emotionen transportieren und in anderen Menschen Gefühle wecken kann! Ich beobachte gern das Publikum. Wenn bei einer Liebesszene ein Paar miteinander anfängt zu kuscheln oder jemand aus Protest den Raum verlässt, dann sehe ich, dass ich etwas bewegen kann. Und wenn ich etwa den Faust spiele, tauche ich komplett ein in diese Figur und vergesse dabei völlig, was mit mir los ist. Dann schaffe ich es, wirklich frei zu werden.
Interview: Eva-Maria Werner