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Welche Herausforderungen hat das Christentum zu bewältigen, wenn der Glaube in der Gesellschaft eine immer kleinere Rolle spielt? Mit dieser Frage beschäftigt sich Jan Loffeld, 50. Er lehrt Praktische Theologie an der Universität Tilburg.

Ein mittelalter Mann mit Brille lächelt freundlich in die Kamera. Er trägt einen schwarzen Pullover. Der Hintergrund ist unscharf und lichthell, was den Fokus auf sein Gesicht lenkt.
Der Theologe Jan Loffeld lehrt Praktische Theologie an der Universität Tilburg.

„Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“ heißt Ihr aktuelles Buch. Machen wir daraus eine Frage: Was fehlt, wo Gott fehlt? 

Diese Frage kann jeder nur für sich beantworten. Sie hat verschiedene Dimensionen. Auf einer individuellen Ebene zeigt sich, dass immer mehr Menschen nichts fehlt. Sie verstehen nicht, dass es etwas geben sollte, das über sie hinausgeht, ein Gott, eine Energie. Auf gesellschaftlicher Ebene stellt sich die Frage: Was fehlt einer Kultur, wenn Religion keine Rolle mehr spielt? Nüchtern betrachtet müssen wir sagen: Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, dass in den säkularsten Ländern – die skandinavischen Länder, Schweiz, Niederlande – die Menschen am glücklichsten sind. Religion gehört dort weniger zum Glücklichsein, dafür aber persönliche Freiheit.

Moderne Gesellschaften zeichnen sich in religiösen Fragen durch eine Gleichgültigkeit aus. Warum?

Meine Großeltern lebten in einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, wo Pfarrer und Lehrer die großen Autoritäten waren, wo es keine Alternative zum Religiössein gab. Durch Modernisierungsprozesse haben wir heute viel mehr Alternativen. Phänomene wie Gewitter wurden früher religiös gedeutet. Heute glauben wir mehr an die Wissenschaft als an Gott. Religion hat sich „entbettet“, sie hat also ihre ursprüngliche kulturelle Rolle verloren.

Wir haben heute also viel mehr Optionen, aus denen wir wählen können …

Und da ist Religion eine schwache Option. Früher war Religion eine starke Option. Etwas, was ich wählen musste, weil ich sonst nicht in den Himmel kam.
 

Könnte es sein, dass sich diese schwache Option irgendwann erledigen wird?

Ich bin optimistisch und denke nicht, dass das Christentum irgendwann die Weltbühne verlassen wird. Denn Gott hört nicht auf zu rufen. Auch in unserer säkularen Gesellschaft gibt es Leute, die ein Bekehrungserlebnis haben, die nicht in einer Welt leben wollen, in der das Recht des Stärkeren gilt.
 

„Apatheismus" ist ein zentraler Begriff in Ihrem Buch. Was bedeutet er?

Wir haben in der Moderne die Unterscheidung zwischen Glaube und Unglaube. Atheisten sind diejenigen, die bewusst nicht glauben. Agnostiker sind unsicher und lassen die Frage nach Gott offen. Dann gibt es den „Etwasismus", der ist in Holland stark. Der besagt, dass es etwas gibt, man aber nicht weiß, was das ist. Apatheisten hingegen sagen: „Ich verstehe das Problem gar nicht, das ihr habt.“ Sie stehen dem Glauben völlig gleichgültig gegenüber.

Trotzdem gibt es in der modernen Gesellschaft viele, die nach Sinn suchen, die eine Sehnsucht nach Spiritualität treibt …

Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger gebrauche ich den Begriff Spiritualität, weil man so viel darunter verstehen kann. Ich finde stattdessen den Begriff Selbsttranszendenz ganz hilfreich. Wenn man zum Beispiel nach dem Pilgern die Welt mit anderen Augen wahrnimmt, weil man Abstand zum Alltag gewonnen hat, dann ist dieses Gefühl nicht gleichzusetzen mit einer Sehnsucht nach Gott, einer Transzendenz, die außerhalb von einem selbst liegt.

Gibt es nicht eine Chance, bei diesem Gefühl anzuknüpfen, um für Kirche zu begeistern?

Zum einen: Für die Kirche möchte ich nicht begeistern. Wenn dann für das Evangelium! Zum anderen: Das können Brücken sein, aber man sollte nicht enttäuscht sein, wenn sie sich nicht als solche erweisen.

Braucht es denn neue Erzählformate, um Menschen mit der frohen Botschaft erreichen zu können?

Wir müssen die Kraft des Erzählens wiederentdecken. Jesus hat erzählt und nicht argumentiert. Nur zu argumentieren, dass es besser ist, mit Gott zu leben, funktioniert nicht mehr. Heutzutage präsentiert sich der Mensch selbst als Geschichte, das wird in den Sozialen Medien deutlich. Aber auch in individuellen Glaubensbiographien: Wer sich zum Christentum bekehrt, hat eine Geschichte zu erzählen, wie Gott in sein Leben gekommen ist.

Sie lehren in Tilburg Praktische Theologie. Den Niederlanden attestieren Sie einen „pragmatischen Realismus“. Was ist der Unterschied zu Deutschland?

Der hat seinen Ursprung in der Nachkriegssituation. Die Schuldaufarbeitung ist in Deutschland in den 1960er- und 70er-Jahren auch mithilfe der Kirchen passiert. So kam es dazu, dass die Babyboomer-Generation größtenteils kirchlich sozialisiert wurde. In Holland hingegen sind die Babyboomer schon die erste Generation, die keine innere Beziehung mehr zu Jesus hat. Das, was wir in Deutschland heute massiv erleben, fand in Holland schon vor 30, 40 Jahren statt.

Wie wird mit dem Glaubensschwund in den Niederlanden umgegangen?

Der wird dort stärker akzeptiert als in Deutschland. Die katholische Kirche hat eine andere Rolle in Holland, weil es ein protestantisch geprägtes Land ist. Die Pfarreien aber, die noch übrig sind, sind oft missionarisch unterwegs.

Könnten wir in Deutschland etwas von der niederländischen Haltung lernen?

Ja. Durch die Reaktionen auf mein Buch wurde mir klar, dass sich viele Katholiken in Deutschland fragen: Wollen wir die Situation wirklich akzeptieren oder sollen wir sagen, dass es noch nicht so schlimm ist? Man muss aber lernen, dass es auch ein Leben in der Akzeptanz des Verlustes gibt.

Ein Kreuzgang eines Klosters mit mehreren Säulen und Bögen. Der Boden ist mit grünem Gras bedeckt, umgeben von Steinmauern. Die Wände zeigen historische Details und sind teilweise schattig.
Die Leere in der Mitte eines Kreuzgangs ist ein Zeichen dafür, dass Gott ungreifbar ist - für Jan Loffeld eine tiefe Wahrheit des Glaubens.

Hätten Sie Tipps für Menschen, die in diese Haltung hineinwachsen wollen?

Ich finde, man sollte der eigenen Berufungsgeschichte trauen. Man könnte sich fragen: Warum bin ich dabei? Was fasziniert mich? Und das mit Leuten teilen, die aus ähnlichen Gründen Christen sind. Den Mut zu haben, mehr über den Glauben zu sprechen – darauf kommt es an.

In Ihrem Buch schreiben Sie über die Leere. Über die Tendenz, Leere zwanghaft füllen zu wollen, sie nicht aus- halten zu können. Was hat das mit dem Glauben zu tun?

Die Leere ist ein Ort der Gottesbegegnung. In der Mitte eines Klosters liegt der Kreuzgang, dessen Mitte wiederum leer ist. Das ist das Zeichen dafür, dass, egal was wir meinen von Gott zu wissen, er ungreifbar bleibt. Letztlich greift der Mensch ins Leere, wenn er meint, Gott begreifen zu wollen. Eine unglaublich schöne, tiefe Wahrheit des Glaubens.

Interview: Pia Scheiblhuber