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Massaker von Kandhamal: Christen in Indien erinnern an Gewalt vor zehn Jahren

Vor zehn Jahren erlebte Indien die schwersten Gewaltausbrüche gegen Christen in seiner Geschichte. Kurz vor dem Jahrestag bereiten die Christen im ostindischen Kandhamal Erinnerungsfeiern vor. missio hilft den Opfern, die noch keine Gerechtigkeit erfahren haben.

Foto: Lena Monshausen/missio
Auch nach zehn Jahren sind die Spuren der Brandstiftungen und Vertreibungen gegen Christen in Dörfern der ostindischen Region Kandhamal gegenwärtig.

Kurz vor dem 10. Jahrestag der größten tödlichen hindu-nationalistischen Gewaltwelle gegen Christen in der Geschichte Indiens wartet die Mehrzahl der Opfer immer noch auf Wiedergutmachung und juristische Gerechtigkeit. Darum kämpfen gemeinsam mit dem katholischen Hilfswerk missio Aachen indische Projektpartner und Menschenrechts-Aktivisten. Sie betreuen mit einem missio-Projekt » die Opfer und richten am 28. und 29. August in Indien öffentliche Gedenkveranstaltungen aus, zu denen in der Stadt Bhubaneshwar über 10.000 Teilnehmer erwartet werden. Bis Ende August läuft die missio-Petition #freeourhusbands für verfolgte Christen in Indien.

Die Stimmung in der Region ist nach Auskunft von missio-Partnern angespannt. Sie sprechen von einer erhöhten Präsenz von Hindu-Nationalisten und befürchten mögliche neue Gewaltausbrüche.

Indische Justiz verzögert bis heute Aufarbeitung und Wiedergutmachung

Rückblick: In der letzten Augustwoche 2008 töteten hindu-nationalistische Fanatiker in der Region Kandhamal im ostindischen Bundesstaat Odisha über 100 Christinnen und Christen. Nach Angaben von missio-Partnern brannten sie 400 Dörfer, 5.600 Häuser und 395 Kirchen nieder. 40 Frauen – darunter auch Ordensschwestern – wurden vergewaltigt. 56.000 Männer, Frauen und Kinder mussten aus ihren Heimatdörfern fliehen und können bis heute nicht zurückkehren. Die Mehrzahl der 3.232 aufgenommen Strafanzeigen gegen die Gewalttäter wurde bis heute nicht bearbeitet. Nur 86 Täter wurden verurteilt, wenige verbüßten tatsächlich ihre Strafe. Nur rund zehn Prozent der Betroffenen erhielt bisher eine Wiedergutmachung vom indischen Staat für zerstörtes Eigentum. Die Opfer sind größtenteils christliche indigene Adivasi und gehören der in Indien gesellschaftlich diskriminierten Kaste der sogenannten Unberührbaren an.

missio-Petition #freeourhusbands läuft bis Ende August für unschuldig inhaftierte Christen

Auslöser der Gewalt war der Mord an einem hindu-nationalistischen Prediger am 23. August 2008. Schnell wurden sieben einfache Christen aus dem Kandhamal verdächtigt und festgenommen. Obwohl sie unschuldig sind und in Ostindien aktive maoistische Rebellen die Verantwortung für den Mord übernommen hatten, wurden sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Für ihre Freilassung sammelt missio Aachen bis Ende August mit der Petition #freeourhusbands im Namen ihrer Familien Unterschriften. Aktuell haben die Petition rund 7.800 Menschen unterschrieben. Sie wird Anfang September an die Bundesregierung übergeben, die sich in Indien für die Freilassung der unschuldigen Christen einsetzen soll.

Team aus Priestern, Psychologen und Juristen arbeitet an Rehabilitation der Opfer

Menschenrechts-Aktivisten, Priester, Psychologen und Juristen der indischen Kirche helfen seit Anfang des Jahres in einem missio-Projekt den sieben Familien der unschuldig inhaftierten Christen aus dem Kandhamal. Zuerst versuchen sie juristisch ein Wiederaufnahmeverfahren für ihre inhaftierten Ehemänner und Familienväter zu erreichen. Dann vermitteln sie den Familien praktisches und ökonomisches Basiswissen für kleine Geschäftsgründungen, um ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten zu können. Vier Familien gründeten eine Ziegenzucht, zwei Familien eine Gemüsezucht und eine Familie eröffnete einen kleinen Laden. Jede Familie erhielt eine Anschubfinanzierung von je rund 630 Euro – das sind etwa sechs indische Monatsdurchschnittsgehälter. Zudem werden zwölf schulpflichtige Kinder aus den Familien finanziell unterstützt, um einen Schulabschluss machen zu können. Nicht zuletzt können Angehörige der Familien Traumatherapien in Anspruch nehmen.

Weiterhin werden in dem missio-Projekt 192 Männer, Frauen und Kinder aus der Region Kandhamal psychologisch betreut, die vor zehn Jahren unmittelbare Zeugen oder Opfer von Morden, Vergewaltigungen und Brandstiftungen geworden waren und dadurch bis heute traumatisiert sind.

Schließlich identifizierten Juristen des missio-Projektes seit Anfang des Jahres 50 Gerichts- und Wiedergutmachungsfälle von Opfern, die jetzt gerichtsfest dokumentiert und dann zur Neuverhandlung gebracht werden. Für ein Opfer einer Sexualstraftat wurde mittlerweile eine Wiedergutmachung erstritten, ein ähnlicher Fall konnte vor einem höheren Gericht eröffnet werden.

Hindu-Nationalismus in Indien gestärkt

Auch zehn Jahre nach den schlimmsten Gewaltausbrüchen gegen Christen in Indien hat sich ihre Lage nicht verbessert. Die hindu-nationalistische Politik des Landes hat sich unter Ministerpräsident Narendra Modi etabliert. Minderheiten wie Christen und Muslime werden weiter und zunehmend diskriminiert. Kritiker Modis befürchten, dass die indische Verfassung nach der Losung „eine Religion, eine Kultur, ein Land“ ihren säkularen, republikanischen und demokratischen Charakter verliert.


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Johannes Seibel

Leiter der Stabsstelle Presse & Kommunikation
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