Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Protestbewegung, die nach dem arabischen Wort für „Bewegung“ Hirak genannt wird. Ausgelöst worden war der Protest durch die Ankündigung des Langzeitpräsidenten Abdelaziz Bouteflika, eine fünfte Amtszeit anzustreben. Seitdem – und auch über den erzwungenen Rücktritt Bouteflikas hinaus – fordert die Bewegung einen radikalen Bruch mit der bisherigen Politik und ein entschiedenes Eintreten gegen Klientelismus und Korruption.
Doch weder die Präsidentschaftswahlen im Dezember 2019 noch die neue Verfassung von November 2020 oder aber die Parlamentswahlen im Juni 2021 sprechen für einen solchen Neubeginn: Neuer Präsident wurde Abdelmajid Tebboune, der bereits Minister und Premierminister unter Bouteflika war. Die neue Verfassung wurde zwar in einem Referendum angenommen, die Wahlbeteiligung lag aber nach einem Aufruf zum Wahlboykott durch die Protestbewegung bei nicht einmal einem Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung. Die Verfassungsreform selbst wird als völlig unzureichend eingeschätzt. Aus den Parlamentswahlen ging einmal mehr die seit der Unabhängigkeit regierende FLN-Partei als Siegerin hervor – ebenfalls bei einer sehr schwachen Wahlbeteiligung.
Die neue algerische Verfassung, die im Januar 2021 in Kraft trat, ist auch mit Blick auf das Thema Religionsfreiheit als ein deutlicher Rückschritt zu bezeichnen. So wurden etwa der Schutz der Gewissensfreiheit sowie weitere Bezüge zur religiösen Freiheit gestrichen. Auch in der Praxis kommt es in dem nordafrikanischen Land immer wieder zu Verletzungen der Religionsfreiheit. Betroffen sind neben Christinnen und Christen auch Angehörige anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
Dieser Länderbericht von missio beschreibt detailliert die aktuelle Lage der Religionsfreiheit im Land. Bei allen Schwierigkeiten wird auch deutlich, dass sich die algerische Gesellschaft und die Religionsgemeinschaften vor Ort für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit einsetzen.
Bibliographische Angaben
Religionsfreiheit: Algerien, hrsg. vom Internationalen
Katholischen Missionswerk missio e.V.
(Länderberichte Religionsfreiheit 56), Aachen 2022.
ISSN 2193-4339
missio-Bestell-Nr. 600564
Die Präsenz der Christen gehört zur modernen Geschichte Algeriens. Während der Kolonialzeit kamen die christlichen Einwanderer, und oft waren es die Kirchen, die die Rechte der Muslime gegenüber der französischen Kolonialmacht verteidigten. Während des Kampfes für die Unabhängigkeit engagierten sich auch Christen für ein freies Algerien.
Algerien hat in seiner Verfassung festgeschrieben, dass der Islam Staatsreligion ist. In Art. 36 wird auch die Gewissens- und Meinungsfreiheit garantiert. Die Situation mit Blick auf die Religionsfreiheit ist allerdings mehrdeutig. Die Gesellschaft akzeptiert, dass seit Jahren Algerier Mitglieder in christlich-charismatischen Gruppen werden und sich in Hauskirchen zum Gebet und zur Bibellesung versammeln. Die Gemeindeleiter kommen nicht aus dem Ausland, sondern sind Einheimische. In keinem anderen arabischen Land können Apostaten so offen ihre Bekehrung zu einer christlichen Kirche bekennen und sich so frei bewegen wie in Algerien – und die algerischen Zeitungen können darüber frei berichten.
Algerien hat eine ganze Reihe von internationalen Konventionen und Verträgen mit Blick auf die Menschenrechte im Allgemeinen und die Religionsfreiheit im Speziellen unterzeichnet und ratifiziert. Das nordafrikanische Land gesteht den religiösen Minderheiten einen gewissen Freiraum zu. Verglichen mit Standards der Religionsfreiheit in Europa, muss Algerien allerdings noch einige Anstrengungen unternehmen, um dahin zu kommen. (2013)
Bibliographische Angaben
Dr. P. Hans Vöcking, Religionsfreiheit: Algerien; in:
missio, Internationales Katholisches Missionswerk e.V. (Hg.),
Länderberichte Religionsfreiheit, Heft 12, Aachen 2013
ISSN 2193-4339
missio-Bestell-Nr. 600 520