Von Bettina Tiburzy
Tausende Flüchtlinge aus dem Südsudan haben in Äthiopien Zuflucht gefunden. Die katholische Kirche in Gambella hilft ihnen, in ihrer schwierigen Situation nicht zu verzweifeln.
Als die Kämpfe näher rückten, flohen Elisabeth Bieltot, ihre Mutter und Geschwister aus ihrer Heimat. Hab und Gut mussten sie zurücklassen. Zu Fuß machten sie sich auf den Weg Richtung Äthiopien. „Wir brauchten drei Wochen, bis wir die Grenze erreichten“, erzählt Elisabeth, die aus einem Dorf nahe der Kleinstadt Nasir im Bundesstaat Upper Nile stammt. „Es war sehr schwierig. Manche Menschen waren zu schwach, um weiterzulaufen.“
Nach der Unabhängigkeit des Südsudan brach Ende 2013 im Land ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den beiden größten Volksgruppen Dinka und Nuer aus. Tausende Menschen starben, über zwei Millionen flohen in die Nachbarstaaten, 400.000 davon nach Äthiopien in die südwestliche Provinz Gambella. Elisabeth und ihre Familie fanden 2014 im Kule-Flüchtlingscamp Zuflucht, in einem von neun Lagern in der Region, die von zahlreichen Hilfsorganisationen betreut werden. Zurzeit leben mehr als 50.000 Südsudanesen in Kule. Die meisten sind Nuer. Im Lager reihen sich schlichte Hütten aus Lehm und Stroh aneinander, manche nur mit einer Plastikfolie als Dach. Kilometerweit erstreckt sich das Camp über die hügelige Savanne. Freudige Gesänge erklingen vom Rande des Lagers. Eine Gruppe von Gläubigen hat sich dort vor einer Kapelle versammelt. Singend ziehen sie mit dem Priester zum Gottesdienst in die Kirche ein, unter ihnen Elisabeth mit ihrer kleinen Schwester Nya auf dem Arm. Die 17-jährige Elisabeth trägt das strahlend grüne Gewand des Kirchenchors, Nya ein weißes Sonntagskleidchen. Das Mädchen, gerade mal fünf Jahre alt, singt inbrünstig und textsicher alle Lieder mit.
Der Generalvikar des Apostolischen Vikariats Gambella, Pfarrer Tesfaye Petros, zelebriert die Messe. Immer wieder stimmt die Gemeinde laute Gesänge an. Trotz Enge tanzen die Gläubigen, begleitet vom rhythmischen Trommelschlag. Pfarrer Tesfaye koordiniert auch die Arbeit der katholischen Kirche im Flüchtlingscamp. Er weiß um die Sorgen der Flüchtlinge. „Sie leiden sehr. Manche haben ihre ganze Familie verloren“, erklärt er. „Solche Erfahrungen können die Grundfesten deines Glaubens erschüttern.“ Die katholische Kirche in der Provinz Gambella ist jung. Erst in den 1990er-Jahren nahm sie in dem abgelegenen Gebiet ihre Missionstätigkeit auf. Die Herausforderungen in der Grenzregion sind gewaltig. Immer wieder kommt es zu Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen. Das Gebiet, so groß wie Baden-Württemberg, ist eine der ärmsten und unterentwickeltsten Regionen des Landes. Das Tiefland ist extrem heiß. Zur Trockenzeit kommt es zu verheerenden Dürren, die Menschen leiden Hunger. In der Regenzeit sind die Sumpfgebiete Brutstätten für Mücken, die Region ist eines der gefährlichsten Malariagebiete Äthiopiens. In der Provinz Gambella brechen immer wieder gewaltsame Konflikte zwischen ethnischen Gruppen aus. Oft geraten die größten einheimischen Völker, die Nuer und Anuak, aneinander. Letztere leben überwiegend vom Ackerbau an den Flussläufen, während die Nuer traditionell Rinderzucht betreiben.
Beide Volksgruppen leben auch im Südsudan. Die vielen Flüchtlinge in der ohnehin labilen Region – die meisten gehören zu den Nuer – lassen die Spannungen weiter steigen. Zumal jetzt in der Region mehr Flüchtlinge als Einheimische leben und täglich neue hinzukommen. Besondere Sorge bereitet Pfarrer Tesfaye Petros die hohe Zahl an unbegleiteten Kindern. „Viele von ihnen haben ihre Eltern auf der Flucht verloren“, berichtet er. Pfarrer und Gemeindehelfer besuchen die Lager regelmäßig, betreuen die Menschen seelsorgerisch, feiern Gottesdienste mit ihnen. Nicht in jedem Lager gibt es eine Kapelle wie im Kule-Flüchtlingscamp, oft dienen Konstruktionen aus Plastikfolie und Holzlatten den Gläubigen als Kirche. „Die Katholiken im Jewi-Flüchtlingslager sind an uns herangetreten“, berichtet Pfarrer Tesfaye, „sie wünschen sich zwei Kapellen in zwei der vier Zonen des riesigen Lagers.“ Gerne möchte Pfarrer Tesfaye dem Wunsch der Gemeinde nachkommen. Der tiefe Glaube der südsudanesischen Flüchtlinge beeindruckt ihn. „Trotz ihres großen Leides haben sie ihren Glauben nicht verloren. Dies ist eine gute Erfahrung, auch für unsere lokalen Katholiken in Gambella.“ Nach der Messe versammeln sich die Südsudanesen und tauschen Nachrichten aus der Heimat aus. Viele besorgte Gesichter, wohin man auch schaut. „Wir hoffen auf Frieden“, erklärt Elisabeth. „Alle möchten wieder zurück nach Hause.“ Doch ein schnelles Ende des Krieges im Südsudan scheint nicht in Sicht. Und so bleibt den Flüchtlingen in Gambella für den Moment nur ihr Glaube, der ihnen Halt und Hoffnung gibt.