Während er auf einen Patienten wartet, liest der Aachener Arzt Heinrich Hahn zufällig von einem französischen Missionsverein. Mit diesem Schlüsselerlebnis beginnt eine Bewegung, die missio bis heute trägt.
Die Menschen haben Angst: Cholera grassiert in Mitteleuropa. Wie ein giftiges Pilzgeflecht breitet die Seuche sich aus und fordert ihre Opfer. Die Kranken werden isoliert und kommen in Quarantäne. Weil es so viele sind, muss bald ein eigenes Spital eingerichtet werden. Vor den Toren der Stadt entsteht in Burtscheid ein „Cholera-Friedhof”. Wir schreiben das Jahr 1832. In Aachen greift die „asiatische Brechruhr“ um sich. So nennen die Leute die tückische Darmkrankheit, die ihren Ursprung im indischen Gangestal hat und deren Erreger, den Cholerabazillus, Robert Koch erst 1892 entdecken wird.
Heinrich Hahn kommt in dieser Zeit kaum zur Ruhe. Immer wieder wird der Arzt zu Kranken gerufen, mehrfach reißen ihn zu Tode geängstigte Verwandte mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Sein Haus im Zentrum von Aachen, in der Adalbertstraße 18, strahlt zwar gediegene Bürgerlichkeit aus. Aber der 32-jährige Doktor der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe hat ein Herz für die Menschen am Rand der Gesellschaft und versteht seinen Dienst am Kranken über alle Standesgrenzen hinweg. Der überzeugte Katholik ist bekannt dafür, dass seine Tür für Arme immer offen steht und er sie umsonst behandelt. Ein Krankenbesuch wird ihm zeitlebens in Erinnerung bleiben: Heinrich Hahn wird zu dem Tuchfabrikanten Cornelius Thywissen nach Montzen gerufen, einem kleinen belgischen Ort unweit von Aachen. Auf dem Wohnzimmertisch seines Patienten entdeckt der Arzt eine Zeitschrift, die ihn sofort fasziniert: Es sind die Annalen des Lyoner Vereins zur Verbreitung des Glaubens.
Was er hier über das Werk einer jungen Frau liest, lässt ihn nicht mehr los: Aufgewühlt von einem bewegten Brief ihres Bruders, der in Paris im Priesterseminar weilt und die Schwester um Gebet und Almosen für die Missionare bittet, entwickelt Pauline Jaricot eine Idee. Wenn viele mitmachen, genügt es, wenn jeder ein wenig gibt. Die Tochter eines Seidenfabrikanten aus dem französischen Lyon wirbt bei den Arbeiterinnen ihres Vaters für ihr Anliegen. Das Echo ist überwältigend. Schon nach 13 Monaten kann Pauline Jaricot 2.000 Francs für die asiatischen Missionen überführen. 1822 gründet sie mit Freunden die „Societé pour la Propagation de la Foi”, ein Werk der Glaubensverbreitung und den ersten Missionsverein der Welt. Seine Mitglieder verpflichten sich, täglich ein Vaterunser und ein Gegrüßet seist du Maria für die Mission zu beten und wöchentlich einen Sou zu spenden.
Heinrich Hahn, dem Mission bisher kein ausdrückliches Anliegen war, begreift sie plötzlich als ureigene Aufgabe jedes Christen. Gemeinsam mit Thywissen plant er, nach dem französischen Vorbild einen Missionsverein in Aachen zu gründen. Doch schon nach den ersten Gespächen mit Freunden tauchen Schwierigkeiten auf. Die französische Revolution hat auch im Rheinland Spuren hinterlassen. Bürgerbewegungen sind der weltlichen wie der geistlichen Obrigkeit verdächtig. Und so wird es noch Jahre dauern, bis Hahn seine Idee verwirklichen kann.
Der Verein, den Heinrich Hahn gründen will, ist Kirche und Staat suspekt. Der Aachener Arzt aber kämpft zäh für dessen Genehmigung und die Idee eines universalen Missionsauftrags.
Der Gedanke, einen Missionsverein zu gründen, lässt Heinrich Hahn nicht mehr los. 1832 hat er zum ersten Mal von Pauline Jaricots französischer Gesellschaft zur Glaubensverbreitung gehört. Seitdem wirbt der Arzt im Freundes- und Bekanntenkreis unermüdlich für seine Idee – und stößt auf offene Ohren. Schon bald hat er eine Schar Gleichgesinnter um sich gesammelt. Die Männer und Frauen, die sich im „Aachener Kreis“ zusammenschließen, sind keine frommen Fanatiker. Sie stehen mit beiden Beinen im Leben, nehmen mit wachen Augen die Nöte der Menschen wahr – und handeln. Die Lehrerin Luise Hensel zum Beispiel, die in ihrer Freizeit Cholerakranke pflegt. Oder Franziska Schervier, die mit 26 Jahren die Kongregation der Franziskanerinnern stiftet, um den Entwürdigten und Ausgestoßenen am Rand der Gesellschaft zu helfen.
Unterstützt von seinem Freundeskreis schreibt Hahn am 25. September 1834 an „Den Hochwürdigsten Erzbischof und Königlichen Wirklichen Geheimen Rat Herrn Ferdinand August Graf Spiegel ... Erzbischöfliche Gnaden in Cöln“ und bittet darum, einen deutschen Zweig des Allgemeinen Glaubensvereins von Lyon gründen zu dürfen. 100 Aachener Bürger unterschreiben. Die Antwort indes ist niederschmetternd: Spiegel verweigert die Genehmigung mit dem Hinweis, das Kölner Erzbistum, zu dem Aachen seinerzeit gehörte, sei nach den napoleonischen Wirren zu arm, um Geld in die Mission zu schicken. Zudem fürchtet er, ein Verein, der in engem Kontakt zum revolutionären Frankreich stehe, sei der preußischen Regierung verdächtig. Erst im zweiten Anlauf 1837 haben Heinrich Hahn und seine Freunde Erfolg: Spiegels Nachfolger, Clemens August Freiherr Droste zu Vischering, erlaubt die Errichtung der „Franziskus-Xaverius-Bruderschaft”, wie der Aachener Kreis „sein Kind“ nunmehr genannt hat.
Ein Film darüber, was Heinrich Hahn bewegte und wie daraus das Internationale Katholische Missionswerk missio e.V. entstand.
Die Bruderschaft wird 1841 endlich auch staatlich, 1842 kirchlich anerkannt. Mitglied werden kann jeder Katholik, „welcher täglich ein Vater unser für das Gedeihen der Missionen betet, und zu demselben Zwecke ein wöchentliches Almosen von 5 Pfennigen in die Casse des Vereins fließen lässt.“ Die Bewegung breitet sich rasch aus.
Der Aachener Hahn vertritt zeitlebens einen universalen Missionsauftrag, macht sich gegen nationalistische Tendenzen stark und betrachtet die deutsche Sektion als Teil einer weltweiten Bewegung. Als Hahn am 11. März 1882 stirbt, verliert der Verein einen charismatischen Führer. Neue missionarische Gemeinschaften und Spenderzirkel machen seinem Werk zunehmend Konkurrenz. Erst beim Katholikentag 1909 in Breslau weckt Alois Fürst zu Löwenstein den Verein mit einer flammend Missionsrede zu neuem Leben. Engagierte Männer treten an seine Spitze. Ab 1917 erscheint das Vereinsorgan „Die Katholischen Missionen“, mit dessen Hilfe die Mitgliederzahl schon im ersten Jahr von 200.000 auf eine halbe Million steigt. 1916 wird Aachen offizieller Verwaltungssitz des Xaverius-Vereins. Auf Anordnung von Papst Pius XI. wird er 1922 Päpstliches Missionswerk.