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Pakistans tödliche Blasphemiegesetze

In der Provinz Punjab, im Osten Pakistans, kam es in den frühen Morgenstunden des 16. August 2023 zu massiven Ausschreitungen im christlichen Viertel Jaranwala der Millionenstadt Faisalabad. Dabei wurden Kirchen und Häuser von etwa 600 pakistanischen Christinnen und Christen niedergebrannt. Die Angreifer zogen mit Knüppeln und Steinen bewaffnet durch die Straßen der christlichen Gemeinschaft, schmissen Möbel und andere Gegenstände auf die Straßen und legten Brände. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind mittlerweile in ihr Viertel zurückgekehrt. Sie stehen jedoch vor den Trümmern ihrer Existenz, sind traumatisiert und mittellos.

Auslöser dieser gewalttätigen Übergriffe war die angebliche Verunglimpfung des Korans, der heiligen Schrift im Islam, durch zwei christliche Brüder, den 28-jährigen Rocky Masih und den 26-jährigen Raja Masih. Die beiden jungen Männern beteuern ihre Unschuld und betonen, dass sie sich aus ihnen unbekannten Gründen diesem Vorwurf ausgesetzt sehen. Die Brüder wurden in der Zwischenzeit der Polizei von Punjab überstellt. Ihnen droht nun eine Anklage auf Grundlage der strengen Blasphemiegesetze, die im schlimmsten Fall sogar die Todesstrafe bedeuten. 

Was genau steckt hinter diesen „tödlichen Gesetzen”? In Pakistan, einem Land mit mehr als 240 Millionen Einwohnern, die zu 97 Prozent muslimischen Glaubens sind, herrschen die wohl strengsten Blasphemiegesetze in der gesamten islamischen Welt. Sie lassen sich bis in die Zeit der britischen Kolonialherrschaft zurückverfolgen, als der indische Subkontinent noch nicht geteilt war. Ursprünglich beabsichtigte man mit dem Gesetz, religiöse aufgeladene Konflikte zwischen Muslimen und Hindus zu verhindern und darüber hinaus ein tolerantes Miteinander zwischen den Glaubensgemeinschaften zu schaffen. In Pakistan wurden die Gesetze 1947 übernommen, als das Land seine Unabhängigkeit erlang. Eine bedeutende Verschärfung der Gesetze erfolgte in den 1980er Jahren unter dem damaligen Militärherrscher Mohammed Zia-ul-Haq. Dieser führte mit der Unterstützung religiöser Hardliner und extremistischer Gruppierungen eine Politik der Islamisierung ein. Mit den neuen Gesetzen marginalisierte Zia-al-Haq religiöse Minderheiten und liberale Kreise innerhalb der muslimischen Bevölkerung.  Als Begründung wurde der Schutz des Islam genannt. 

Relevante Abschnitte des Blasphemiegesetzes sind folgende: 

295 B: Verunglimpfung usw. des heiligen Korans.

Wer ein Exemplar des Heiligen Korans oder einen Auszug daraus verunglimpft, beschädigt oder schändet oder ihn auf verunglimpfende Weise oder für ungesetzliche Zwecke verwendet, wird mit lebenslänglichem Freiheitsentzug bestraft. 

295 C: Verunglimpfung usw. des Heiligen Propheten.

Wer in Worten, schriftlich oder mündlich, oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des Propheten Mohammed verunglimpft, wird mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe und mit Geldstrafe bestraft.

Die einzelnen Passagen des Textes sind vage und doppeldeutig formuliert. Die „Beleidigung“ wird als solche nicht genauer definiert, wodurch ein großer Interpretationsspielraum besteht und Menschen der Blasphemie bezichtigt werden können, ohne eine wirkliche Beleidigung ausgesprochen zu haben. Erst Anfang des Jahres 2023 kam es zu einer Verschärfung der Blasphemiegesetze, über die insbesondere religiöse Minderheiten empört sind. Von nun an gelten höhere Strafen für Beleidigungen von Angehörigen des Propheten Mohammed.

Auch wenn die Justiz bisher davon abgesehen hat, Angeklagte auf der Grundlage der Blasphemiegesetze hinzurichten, bleiben die Verurteilten oft jahre- wenn nicht jahrzehntelang im Gefängnis. Auch außerhalb des Gefängnisses droht Personen, die der Blasphemie bezichtigt werden, große Gefahr. Diese reicht von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zum Lynchmord. Die Blasphemiegesetze werden von extremistischen Gruppierungen häufig dafür missbraucht, aus persönlichen, politischen oder religiösen Gründen gegen unliebsame Personen oder Gruppen vorzugehen, sie einzuschüchtern, zu verfolgen oder gar zu diskriminieren. Seit 1990 kamen in Pakistan bisher 70 Menschen ums Leben – als Opfer der Selbstjustiz.


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