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1000 Tage im Amt – vorläufige Bilanz einer Präsidentschaft

Als die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo am 30. Dezember 2018 nach mehrfachem Verschieben endlich durchgeführt werden konnten, waren die Erwartungen hoch. Zuletzt musste der Wahltermin verlegt werden, weil ein Drittel der neu angeschafften Wahlmaschinen bei einem Feuer zerstört worden waren. Zuvor hatte die Regierung mehrfach den Wahltermin verlegt. Nachdem die internationale Gemeinschaft die Wahlen vom 2006 und 2011 substanziell finanziert und durch Beobachterinnen und Beobachter begleitet (dabei evtl. auch zu ihren eigenen Gunsten geleitet) hatte, entschied Kabila – unter Berufung auf das Souveränitätsprinzip – diesmal auf Fremdfinanzierung zu verzichten und sich jegliche Einmischung zu verbitten. Die Regierung im Kongo wollte also die Wahlen trotz knapper Ressourcen und geringen Budgets selbst finanzieren. Die Organisation der Wahlen lief aber logistisch chaotisch ab und die Grundvoraussetzung Sicherheit fehlte.

Die Flagge der Demokratischen Republik Kongo.

Als die Stimmen ausgezählt waren, war die Kritik laut: Verschiedene Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter waren sich sicher – es gab Wahlbetrug. Doch für das Verfassungsgericht war klar: es gibt keine Beweise. Deshalb ist Félix Tshisekedi, der offiziell 38,57 Prozent der Stimmen erhalten hat, seit dem 10. Januar 2019 Präsident der DR Kongo. Am 24. Januar 2019 wurde er vereidigt. Gleichzeitig war dies auch der Sieg der größten Oppositionspartei in der DR Kongo, deren Mitglied Tshisekedi ist. Jedoch war es nur ein halber Sieg. Die Kabila-nahe Koalition Front Commun pour le Congo (FCC) erhielt trotz des Scheiterns ihres von Kabila selbst ausgesuchten Kandidaten für die Präsidentschaft rund 350 Sitze im Parlament.

Daher ging der neue Präsident ein Bündnis mit dem vorherigen ein, so dass Kabila weiterhin Einfluss auf das Parlament und damit auf die Politik des Landes nehmen konnte. Manche sahen diesen Schritt als eine Blamage für einen Akteur aus der Opposition. Andere hielten ihn für klug, weil Kabila in dieser Zeit die Armee und andere staatliche Dienste inoffiziell kontrollierte und bei jeglicher direkten Konfrontation eindeutig im Vorteil gewesen wäre.

Nach beinahe zwei Jahren im Amt beendete Tshisekedi im Dezember 2020 seine Regierungskoalition mit Kabila aufgrund des angespannten Verhältnisses zwischen den Koalitions-Partnern. Das Bündnis war unfähig, so Tshisekedi in seiner Evaluationsrede, die Erwartungen und Hoffnungen des Volkes zu erfüllen. Aufgrund der neu gewonnenen Mehrheit im Parlament und der neuen Regierung hatte er die politischen Hürden überwunden – nicht aber die sozial-wirtschaftlichen.

Der 43-jährige Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge ist der Nachfolger von Sylvestre Ilunga – einem Verbündeten Kabilas – als Premierminister. Neu im Amt will er Tshisekedis Politik umsetzen, dessen Prioritäten in den Bereichen Sicherheit, soziale Fragen, Gerechtigkeit, Zugang zu Bildung und Gesundheit für alle liegen. Zuvor war Sama Lukonde Generaldirektor des größten kongolesischen Staatskonzerns, der Générale des carrières et des mines (kurz: Gécamines). Nun soll er den Rohstoffreichtum der DR Kongo zum Aufbau des Landes nutzen.

Mit seinem Motto „Le peuple d'abord“ („Zuerst die Bevölkerung“, also einer an der Bevölkerung ausgerichteten Politik) wird Tshisekedi – und  sein Premierminister – erneut mit Kabila konfrontiert. Der vorherige Präsident beeinflusst fast die gesamte Wirtschaft des Landes durch geschickt platzierte Verbündete (Kongolesen wie Nicht-Kongolesen)(1). Währenddessen setzt Tshisekedi sich dafür ein, dass wieder Geld in die Staatskasse fließt, um die Grundbedürfnissen der Bevölkerung befriedigen zu können.

Zurzeit versuchen Investoren, die unermessliches Vermögen durch überhöhte Preise für importierte Lebensmittel (Tiefkühlkost) sowie durch Luftfracht angehäuft haben, sich den Forderungen der Regierung nach angemessenen Preisen (z.B. durch falsche Angaben) zu widersetzen. Außerdem sollen auch die Minenverträge neu verhandelt werden – vor allem die Verträge, die Kabila mit China abgeschlossen hat. „Es ist nicht normal, dass diejenigen, mit denen das Land Verträge abgeschlossen hat, reich werden, während unser Volk arm bleibt“, beklagte Tshisekedi, der auch die Beteiligten aus der DR Kongo hart kritisierte. Die von ihm zu Beginn seiner Amtszeit angekündigte Politik der Win-Win-Partnerschaft wird erst allmählich im Bergbausektor umgesetzt.

Auch wenn der Staat verschiedene Sektoren der Wirtschaft nicht kontrolliert, beginnt der Kampf gegen die Korruption dank der Generalinspektion für Finanzen Früchte zu tragen. Leider ist die Justiz bei der Bearbeitung der Sachberichte der Generalinspektion noch zu passiv. Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass der Staat die enormen unterschlagenen Summen zurückbekommt und die Täter bestraft werden. Tshisekedi hat diese Passivität der Justiz in einem Interview kritisiert.

Der Kampf gegen die Korruption wird auch innerhalb der Armee geführt. Der Generalinspektor Amisi Kumba hat im Auftrag von Félix Tshisekedi, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, die Verwendung von Staatsgeldern innerhalb der Armee in den letzten Wochen kontrolliert. Diese Kontrolle ist sehr wichtig, denn seit Mai 2021 gilt im Osten des Landes der Belagerungszustand. Das Militär hat in beiden Provinzen Nord-Kivu und Ituri die Kontrolle übernommen, um die verschiedenen bewaffneten Gruppen sowie die illegale Ausbeutung der Minen zu bekämpfen. Trotz dieser kritischen Situation und ihrer schwerwiegenden humanitäre Folgen versuchen einige korrupte Offiziere Staatsgelder zu unterschlagen. 1,6 Millionen Menschen wurden alleine in der Provinz Ituri durch die Gewaltausbrüche vertrieben.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob auch die Gewalt im Osten der DR Kongo eingedämmt würde. Nach einer Großoffensive durch das kongolesische Militär im Oktober 2019 auf Befehl von Tshisekedi schien die ADF (Allied Democratic Forces) zerschlagen; das Hauptquartier war erobert. Doch bereits im November 2019 flammten neue Konflikte in der Provinz Ituri auf – die Gewalt war zurück.(2) Die ADF wurde bereits im Jahr 1996 in Uganda von Angehörigen der muslimischen Minderheit gegründet. Heute steht sie im Verdacht Beziehungen zum Islamischen Staat zu pflegen.(3)

Die Blauhelm-Truppen, deren Präsenz in den Kriegsgebieten oft als passiv und nutzlos kritisiert wird, unterstützen die aktuellen Operationen der kongolesischen Armee. Die Region Beni ist das Gebiet, in dem fast 70 Prozent der Truppen eingesetzt wurden. „Laut UN-Militärquellen umfasst das neue FIB immer noch drei Kampfgruppen aus Südafrika, Tansania und Malawi. Es hat auch vier schnelle Eingreiftruppen erworben, zwei aus Tansania und Kenia, die bereits vorhanden sind, sowie zwei weitere aus Südafrika und Nepal, die noch eingesetzt werden müssen.“ Um Frieden, Sicherheit und Autorität des Staates wiederherzustellen, will Tshisekedi die Armee neu aufbauen und stärken.

Seine erste Auslandsreise im Amt führte ihn in die USA. Darauf folgte im August 2020 der Abschluss eines Militärabkommens mit den USA, das unter anderem die Ausbildung kongolesischer Soldatinnen und Soldaten umfasst. Auch diese Maßnahme soll zum Ende der Gewalt beitragen. Mit den Nachbarländern, zu denen viele der Milizgruppen Beziehungen unterhalten und aus denen sie Unterstützung bekommen, fördert Tshisekedi nicht nur die militärische Kooperation, sondern auch den wirtschaftlichen Austausch. „Die Botschaft dahinter lautet: Je mehr es gelingt, den Kongo zu befrieden, desto mehr wird auch der Handel in Gang kommen - zum Nutzen aller.“(4) Tshisekedis ganzheitlicher Ansatz und seine diplomatischen Anstrengungen werden vom UN-Sicherheitsrat und von internationalen Beobachtern begrüßt.  Die intensive Reisediplomatie, zahllose Gipfeltreffen und Dialoge vermitteln den festen Willen, die Isolation, in die das Land unter Kabila geriet, zu überwinden und den Kongo wieder in der internationalen politischen Szene präsent zu machen. Das Ziel dabei: All dies muss gewinnbringend für den Kongo sein.

Große Herausforderungen gibt es auch in anderen Bereichen. Tshisekedis an der Bevölkerung ausgerichtete Politik soll eine kostenlose Grundschuldbildung für alle ermöglichen. Laut Verfassung (Art. 44) ist Schulbildung kostenlos im Kongo, aber dies wurde nicht umgesetzt. Die Einführung der kostenlosen Bildung hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen gehabt, so der aktuelle Minister für Primar-, Sekundar- und technische Bildung (EPST), Tony Mwaba: Zu den positiven Auswirkungen zählt die Rückkehr von ca. 4 Millionen Kindern in die Schule, die Möglichkeit für Eltern, finanzielle Ressourcen zu sparen, die für die Bezahlung der Lehrkräfte aufgewendet wurden und die sich stark auf die Familienbudgets auswirkten. Dieses Geld kann nun anderweitig investiert werden. Zu Anfang gab es einige Widerstände gegen die kostenlose Schulbildung: nicht weil diese für unmöglich gehalten wurde, sondern weil manche der Verantwortlichen weiter von der 1990 eingeführten finanziellen Unterstützung der Eltern weiter profitieren wollten. Diese Reaktion hat die Regierung unterbunden. Zu den negativen Auswirkungen zählt die Überfüllung der Klassenzimmer. Derzeit übersteigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler in einer Klasse die international anerkannten Standards, zwischen 45 und 50 Schülern. Dank der Bereinigung der Gehaltsabrechnungen und der Eliminierung von fiktiven Einrichtungen und Agenten in dem EPST-Bildungssektor, können die realen Lehrkräfte bezahlt werden sowie Lehrkräfte und Bedienstete (ab dem 65. Lebensjahr) nach 35 Jahren in den Ruhestand gehen. Zur Förderung des Bildungssektors werden seit Juli 2021 jeden Monat 1.500 Lehrkräfte in den Ruhestand versetzt und  durch neue Einheiten ersetzt.(5)

Diese interne Ressourcenmobilisierung könnte zu der erfolgreichen Umsetzung von Tshisekedis Politik wesentlich beitragen, der den Bildungsetat auf 20 Prozent des Staatshaushalts hochgesetzt hat. Die restlichen Gelder will er mit Entwicklungshilfezahlungen und mit Unterstützung der Weltbank aufbringen. Doch damit ist erst im Jahr 2022 zu rechnen.(6) 

Es bleibt also noch viel zu tun für die verbleibenden zwei Jahre von Tshisekedis Amtszeit – besonders wenn er wiedergewählt werden will. Bedenkt man das Ausmaß von Ausbeutung, Diktatur und Korruption in der ganzen Geschichte des Kongo, die zum Kollabieren des Staates geführt haben, sollte man auch Geduld, Verständnis und angemessene Erwartungen haben. Es gibt keinen Platz für Schmeichler sowie für destruktive Kritiker. Tshisekedi und der Kongo brauchen interne und externe Unterstützung mit konstruktiver Kritik. Ein gemeinsamer Aufbau nach einer langjährigen Zerstörung des Landes, sollte das Ziel sein.

von Christian Ndala und Manuela Vosen

 

[1] vgl. https://www.bloomberg.com/news/features/2016-12-15/with-his-family-fortune-at-stake-congo-president-kabila-digs-in    

[2] vgl. https://taz.de/ADF-Rebellen-im-Kongo/!5659603/    

[3] vgl. https://taz.de/Kongos-Krieg-gegen-den-Terror/!5654162/    

[4] „Wie Tshisekedi mit UN-Hilfe den Kongo befrieden will“, 20.12.2019, Philipp Sandner, https://www.dw.com/de/wie-tshisekedi-mit-un-hilfe-den-kongo-befrieden-will/a-51750252    

[5] In einem Interview mit Vaticannews vom 28. Juni 2021, https://www.vaticannews.va/fr/afrique/news/2021-06/rd-congo-les-effets-de-la-gratuite-de-l-enseignement-selon-le.html    

[6] vgl. https://taz.de/Kostenlose-Grundschulen-im-Kongo/!5640683/    


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