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"Leider ist die Situation in der Welt schlechter geworden"

Seit März 2018 war Markus Grübel (CDU) der erste Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. In dieser Funktion setzte er sich für die Rechte religiöser Minderheiten in vielen Ländern ein, besuchte Betroffene auf Reisen und sorgte mit dafür, dass das Thema "Religionsfreiheit" auf der politischen Agenda in Berlin bleibt. Mit dem Antritt der neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz endet seine Amtszeit in wenigen Wochen. Im Interview mit missio-Redakteur Thomas Rekendt zieht er eine Bilanz seiner Arbeit, spricht über wichtige Begegnungen und erzählt, was er sich in Zukunft von diesem Amt erhofft.

Das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit wurde erst 2018 geschaffen. Was waren die Beweggründe dafür?

Wenn Sie sich ins Jahr 2018 bzw. 2017 zurückversetzen, als die Koalitionsverhandlungen starteten, gab es zu diesem Zeitpunkt sehr gewaltsame, religiös gefärbte Konflikte: der sogenannte „Islamische Staat“ in Syrien und im Irak; die Vertreibung von mehr als 750.000 Rohingyas aus Myanmar; die Berichte über die Situation der Uiguren in China; islamistischer Terror wie durch Boko Haram in Nordnigeria und Anschläge in Ägypten mit vielen Toten. Das hat tiefe Betroffenheit in der Politik ausgelöst. Außerdem ist zu nennen, dass sich mit Volker Kauder und Andrea Nahles zwei Politiker als Fraktionsvorsitzende getroffen haben, die „religiös-musikalisch“ waren. Die Themen „Religionskonflikte“ und „Religionsfreiheit“ waren beiden sehr wichtig. Und beide haben sich sehr schnell darauf geeinigt, ein solches Amt zu schaffen. Volker Kauder hatte das auch schon in der Vergangenheit versucht, ist aber an den jeweiligen Koalitionspartnern gescheitert. Aber in dieser Kombination und unter diesen Eindrücken, insbesondere aus Syrien und dem Irak, war man überzeugt: Hier müssen wir als Bundesregierung tätig werden.

Wie haben Sie sich auf die Übernahme dieses Amtes vorbereitet? Was mussten Sie sich neu aneignen?

Zunächst habe ich sehr viele Informationen über kleine Religionsgemeinschaften gebraucht, die wir hier nicht so gut kennen. Die Kakai oder die Schabak im Irak, zum Beispiel. Mit einigen von ihnen, wie den Jesiden, hatte ich bereits durch meine Tätigkeit als Staatssekretär im Verteidigungsministerium zu tun. Die kannte ich auch schon von Karl May: In „Durchs wilde Kurdistan“ kommen die Jesiden gleich auf der ersten Seite vor. Über all diese kleinen Gemeinschaften war es wichtig zu wissen, wie man sie zuordnen muss, was ihre religiöse Ausrichtung ist und wo ihre Verbreitungsgebiete sind. Aber auch die große innere Zersplitterung, die es beispielsweise bei den Jesiden oder in den Ostkirchen gibt, war relevant. Dort musste ich erst die theologischen Unterschiede kennenlernen. Auch mit den Indigenen zum Beispiel im Amazonasgebiet, die durch die Rodung des Regenwaldes nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre religiöse Identität verlieren, musste ich mich erst vertraut machen. Das war für mich Neuland, auch wenn ich mich schon mein ganzes Leben mit Religion und Kirche beschäftige.

Foto: Johannes Seibel / missio
Markus Grübel, im Dezember 2021 zu Besuch bei missio in Aachen, im Gespräch mit missio-Präsident Pfarrer Dirk Bingener und Dr. Katja Voges, missio-Referentin für Religionsfreiheit.

Wie sind Sie zu dem Amt gekommen? Hat Ihre Partei Sie einfach darauf angesprochen? Und was war Ihre erste Reaktion?

Es ist richtig, Volker Kauder hat mich angesprochen und ich war gleich Feuer und Flamme, weil ich kurz vor dieser Anfrage aus dem Irak kam und dort das Leid der vertriebenen Christen, Jesiden, Kakai und Schabak gesehen hatte. Deshalb war ich gleich davon überzeugt, dass es gut und wichtig ist, hier aktiv zu werden.

Gab es Versuche, Sie für Klientelpolitik zu gewinnen? Zum Beispiel, dass Sie überwiegend das Thema „Christenverfolgung“ thematisieren?

Ich habe mein Amt immer so verstanden, dass meine Klientel alle Menschen sind, die wegen ihrer Religion benachteiligt oder verfolgt werden. In diesem Sinne habe ich schon Klientelpolitik gemacht, aber eben für alle, die betroffen sind. Ich war Ansprechpartner für alle Religionsgemeinschaften. Und natürlich hat jede von ihnen für ihre Anliegen ganz besonders Lobbyarbeit gemacht und Engagement eingefordert, darunter nicht nur Christen, sondern auch Jesiden, Bahai, Juden oder Ahmadiyya. Viele Gruppen haben ihre spezifischen Anliegen an mich herangetragen. Es ging aber immer um alle Religionen und Weltanschauungen, also zum Beispiel auch um Atheismus. Wir wählen da einen sehr menschenrechtsbasierten und sehr breiten Ansatz. Es gab natürlich auch Vorwürfe seitens der AfD, man würde sich zu wenig um verfolgte Christen kümmern. Aber ich konnte da immer auf die Statistik des Bundesinnenministeriums verweisen, die antisemitische und islamfeindliche Angriffe am häufigsten auflistet und erst danach christenfeindliche. Die gibt es aber auch, und um die kümmere ich mich genauso.

Welches Feedback haben Sie noch bekommen, beispielsweise von Ihren Parteifreunden, die von gewissen Religionsgruppen und deren Verfolgung noch nie gehört hatten?

Ja, das gab es auch. Wenn man die Zeitung aufschlägt, gibt es ja immer die Frage „Wer schafft es rein?“ Es ist natürlich sehr schwierig darzustellen, wer die Schabak oder die Kakai sind. Das erste Mal, dass ich mit den Kakai in Berührung kam, war noch zu meiner Zeit im Verteidigungsministerium, als wir im Zuge der Ausbildung der kurdischen Peschmerga auch Kakai ausbildeten. Beide haben im Norden des Iraks versucht, den „Islamischen Staat“ aufzuhalten. Und da habe ich mich in meinem wöchentlichen Bericht an den Verteidigungsausschuss auch zum ersten Mal mit dieser Gruppe beschäftigt und versucht, den Mitgliedern zu erklären, wer die Kakai sind: eine kleine, religiöse Gruppe, die dort siedelt und genauso unter dem „Islamischen Staat“ leidet, wie die Kurden.

Wie lautet Ihre Definition von Religionsfreiheit?

Ich habe mich da sehr eng an den Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehalten. Das bedeutet, dass jeder Mensch seine Religion haben und sie ausüben darf, sowohl privat als auch gemeinschaftlich, also öffentlich. Dazu gehören auch das Recht, die Religion zu wechseln, also Konversion, und das Recht, die Religion zu verlassen, also Apostasie. Das alles sowie die Weltanschauungsfreiheit schließt dieser Artikel mit ein.

Foto: Religionsfreiheitsbeauftragter

Wie steht es Ihrer Einschätzung nach um die weltweite Religionsfreiheit?

Leider ist die Situation in der Welt schlechter geworden. Das mache ich auch in meinem zweiten Bericht (pdf-Datei)     anhand der Zahlen deutlich. Zugenommen haben sowohl die Verfolgung durch den Staat als auch durch die Gesellschaft. Wir sehen hier eine deutliche Verschlechterung. Ich möchte das Beispiel China nennen, wo sich die Situation für Gläubige dramatisch verschlechtert hat, insbesondere der Uiguren, aber auch der Christen.
In der Europäischen Union ist die Stelle des Beauftragten für Religionsfreiheit noch immer unbesetzt und sie ist auch schlecht ausgestattet. Wir haben also neben der schlechteren Situation in bestimmten Ländern auch eine Europäische Union, die nicht gut aufgestellt ist im Kampf gegen die Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit.

Also würden Sie sagen, dass die EU bei diesem Thema deutlich aktiver werden muss?

Ja, und sie müsste auch die europäischen Länder in ihrer Arbeit für Religionsfreiheit koordinieren. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Ansätze. Vom laizistischen Ansatz Frankreichs, über Polen und Ungarn, die sehr stark die Christenverfolgung im Blick haben bis hin zu den Niederlanden, Dänemark oder Deutschland, die möglichst alle Religionsgruppen sehen und einen menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen. In der Trump-Administration sah man dieses Thema in den USA auch als Mittel der eigenen Außenpolitik, weshalb es wichtig wäre, dass Europa hier mit einer Stimme spricht. Dann muss auch China auf die Stimme Europas hören. Wenn jedes einzelne Land aktiv wird, sind wir eigentlich zu schwach.

Hatten Sie die Möglichkeit, sich mit Amtskollegen in Europa und den USA zu vernetzen und auszutauschen?

Ja, ich habe einen sehr engen Kontakt zu den Kollegen in den Niederlanden und Dänemark gehabt. Ich habe mich auch mit dem französischen Kollegen abgestimmt, der allerdings eine andere Rolle hat, weil er eher eine Art Botschafter der französischen Regierung für die Kirchen und Religionsgemeinschaften ist. Er bearbeitet aber auch das Thema Religionsfreiheit und -konflikte. Ich stand auch im Austausch mit den Amtskollegen aus dem Vereinigten Königreich. Sehr dominant war phasenweise der Religionsfreiheitsbeauftragte der Vereinigten Staaten, Sam Brownback. Er arbeitete eng mit Präsident Trump, Vizepräsident Pence und Außenminister Pompeo zusammen. Punktuell gab es auch Berührungspunkte mit dem Kollegen aus Ungarn, der sich in seiner Arbeit aber allein auf die Christenverfolgung konzentriert. Da war es schwieriger, diesen breiten Ansatz, den wir verfolgen, voranzubringen.

Was sind die größten Probleme, die das Recht auf Religionsfreiheit bedrohen?

Es kommt immer darauf an. In manchen Ländern ist islamistischer Terror die größte Bedrohung. In anderen Ländern ist es die Staatsreligion in Kombination mit Populismus, durch die Minderheiten zu Sündenböcken gemacht werden. Aber auch Staatsparteien, die einen absoluten Anspruch verfolgen, wie in China oder Nordkorea, bedrohen die Religionsfreiheit. In Indien ist es der zunehmende Hindu-Nationalismus, wo Angehörige anderer Religionen nicht mehr als vollwertige Inder angesehen werden. In Nordnigeria ist es ein uralter Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern, der religiös aufgeladen wird. Man muss es im jeweiligen Kontext sehen, und die Unterschiede sind weltweit sehr groß.

Foto: Religionsfreiheitsbeauftragter
Junge Menschen bedanken sich für das deutsche Engagement in Nigeria.

Was schätzen Sie an der Arbeit von und mit missio im Bereich Religionsfreiheit?

Ich schätze an missio die sehr seriöse Arbeit. Ganz besonders die Länderhefte », die hervorragende Informationen zum jeweiligen Land liefern. Außerdem schätze ich an missio die Tiefe an Kenntnissen in der Fläche des Landes. Wir Politiker haben oft die Sicht, die unsere Botschaft aus der Hauptstadt heraus hat. missio ist da gut in der Fläche vertreten und hat gute Sensoren, wie die Situation in den Ländern wirklich ist.

Welche Rolle spielt der interreligiöse Dialog für Sie?

Das Thema war mir so wichtig, dass ich für meinen Bericht die Botschaften in den einzelnen Ländern abgefragt habe, welche Beispiele für interreligiösen Dialog und ein friedliches Miteinander der Religionen bei ihnen zu finden sind. Ich konnte auf meiner Reise nach Nigeria sowohl Erzbischof Kaigama als auch den Emir von Wase treffen, die diese Zusammenarbeit leben und die missio dieses Jahr auch in Deutschland zu Gast hatte. Diese Bilder zeigen, dass hier zwei Menschen unterschiedlicher Religion sich gemeinsam für Frieden und Verständigung einsetzen und das auch glaubwürdig vermitteln. Ähnliches habe ich mit dem Bischof und dem Kalifen aus dem Senegal bei missio München erlebt. Mir ist aber auch wichtig, nach dem intrareligiösen Dialog zu fragen. Weil wir beim interreligiösen Dialog meist nur die liberaleren und toleranteren Religionsführer, und im Übrigen nur wenige Religionsführerinnen, erreichen. Die Radikaleren nehmen an solchen Formaten nur sehr selten teil. Deshalb ist der intrareligiöse Dialog wichtig, um die Moderaten mit den Radikaleren ins Gespräch zu bringen. Das ist zwingend nötig, um die Gewalt zu reduzieren.

Welche Begegnung in Ihrer Amtszeit wird Ihnen in besonderer Erinnerung bleiben?

Ganz besonders beeindruckt hat mich ganz am Anfang eine Reise in ein Flüchtlingslager im Nordirak, wo mir ein Mensch, der aus der Region Mossul vom IS vertrieben worden war, gesagt hat: „Mein Glaube ist das Wichtigste.“ Er hätte die Wahl gehabt, zu bleiben und zu konvertieren oder zu fliehen und seinen Besitz zurückzulassen. Und für ihn war es selbstverständlich, zu fliehen. Und ich habe mich gefragt, ob meine Mitbürger aus meiner schwäbischen Heimat mit einem Reihenhaus und einem schönen Auto diesen Satz auch so sagen würden. Mich hat das tief beeindruckt, wie selbstverständlich es für diese Menschen war, nicht ihren Glauben, sondern ihr Vermögen und ihre Heimat aufzugeben.

Haben solche Begegnungen Sie auch in Ihrem eigenen Glauben beeinflusst?

Ich habe mich immer gefragt, wie ich mich entschieden hätte. Und ich bin sehr froh, dass ich nie vor solchen Entscheidungen stehen musste.

 

Foto: Religionsfreiheitsbeauftragter
Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel, zu Gast in einer Schule im Senegal.

Welchen Rat würden Sie Ihrem Nachfolger/Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?

Der erste Satz wäre: In der Bundesregierung muss das Bewusstsein vorhanden sein, dass Religion eine Bedeutung hat. Wie wichtig Religion für viele Menschen weltweit und für das friedliche Zusammenleben ist. Außerdem müssen wir innerhalb der Bundesregierung die verschiedenen Stellen, die sich mit Religion beschäftigen, enger zusammenbinden. Es gibt meine Stelle im Entwicklungsministerium, es gibt weitere im Auswärtigen Amt, im Innenministerium, im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium. Hinzu kommen noch die Stellen in den einzelnen Bundesländern. Wir beschäftigen uns mit ähnlichen Fragestellungen und sind in Deutschland bei diesem Thema ja auch vorbildlich. Diese Themen zusammenzubinden, innerhalb der Bundesregierung, aber auch innerhalb der Europäischen Union, ist wichtig. Hier kann man Kräfte bündeln und sich besser koordinieren.
Und dann ganz praktisch: In dieser Funktion muss man sehr viel reisen, um in erster Linie Kontakt zu den Betroffenen zu halten. Das stärkt die Menschen ungemein, wenn sie wissen: Die deutsche Bundesregierung interessiert sich für ihr Schicksal, für ihr Leid. Die Regierungen, gerade in den schwierigen Ländern, nehmen sehr genau wahr, mit wem ein Vertreter eines anderen Staates spricht. Und das wertet die religiösen und ethnischen Minderheiten sehr stark auf.

Für den dritten Bericht, den ich bereits vorbereitet habe, sollten wir mehr Länder aufnehmen und die anderen fortführen, um eine Entwicklung aufzuzeigen. Was mir auch immer ein Anliegen war, ist, auch Deutschland und Europa stärker in den Blick zu nehmen. Das ist für mich auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit wichtig, dass wir auf uns selbst schauen: „Wie halten wir es mit der Religionsfreiheit?“

Bezüglich Ihrer persönlichen Zukunft: Wie lange geht Ihre Amtszeit noch, nachdem die neue Bundesregierung nun angetreten ist?

Ich bleibe im Amt, bis ich abberufen werde. Wann das genau ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich vermute aber, dass es Mitte Januar sein wird, wenn die Bundesregierung sich richtig zusammengefunden hat. Es gibt ja auch noch andere Beauftragte, wie die Pflege-, Patienten- oder Drogenbeauftragte. Aus dem Koalitionsvertrag kann man entnehmen, dass es einen Rassismusbeauftragten und einen Antiziganismusbeauftragten geben soll. Diese Themen haben auch Berührungspunkte mit meiner bisherigen Arbeit. Ob die Stelle des Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit weitergeführt wird, da bin ich mittlerweile verhalten optimistisch. Es gibt auch in der SPD, in der FDP und bei den Grünen viele Leute, die für diese Position hervorragend geeignet sind. Von daher hoffe ich, dass die Stelle gut und kompetent wiederbesetzt wird.

Ich selbst werde zwar aus dem Amt ausscheiden, aber mich weiterhin im Stephanuskreis der CDU/CSU im Bundestag engagieren, der sich mit dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit und intensiv mit dem Thema Christenverfolgung beschäftigt. Mein Glaube hat mich bis jetzt mein ganzes Leben begleitet und das wird auch weiterhin so bleiben.

Helfen Sie verfolgten Christen!


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