Substanzmissbrauch ist ein großes Problem auf den Salomonen. Alkohol und die berauschenden Betelnüsse sind der Grund dafür. Selbst in den entlegensten Dörfern der Inseln findet man ein Gemeindehaus, eine Kapelle und mindestens einen „bottle shop“, welche direkt durch die rundum angebrachte Vergitterung der Fenster und der Verkaufstheke auffallen. Viele der Familien pflanzen neuerdings in großem Ausmaß Betelnuss-Bäume an, da durch die Droge mehr Geld zu verdienen ist, als mit dem Verkauf von Gemüse und Früchten.
Nach dem Gespräch mit Glins (siehe "Unterwegs in Melanesien: Wie die Kirche auf den Salomonen hilft" ) war meine Sicht auf Honiara nicht mehr dieselbe wie vorher. Dort wo ich vorher buntes Treiben und laute, wummernde Musik sah, erkannte ich viele der Probleme, von denen Glins erzählte. Die fröhliche und aufgedrehte Art der Leute in den Straßen, unterstrichen von den starken Alkoholfahnen vieler Männer erklärte sich oftmals durch den übermäßigen Konsum von Bier oder Betelnüssen. Die quatschenden und laut lachenden Frauen an der Straßenecke grinsen mit rubinroten Zähnen in meine Richtung. Wenn Schulschluss ist, sieht man viele der gerade einmal 10-jährigen Kinder um Stände herumstehen und mit Geldscheinen wedeln. Dieses Bild spielt sich meistens in Süßigkeitengeschäften – in Honiara Betelnussständen – ab. Am Straßenrand stehen riesige Werbetafeln, welche die kommenden Pazifischen Spiele bewerben, aber zum Großteil Abbildungen von Bierbüchsen mit der Aufforderung „Come fly with me“ präsentieren. Die nüchternste Reklametafeln sind jedoch die mit den Worten „Don’t drink and drive“. Viele der Autofahrer haben in ihren Dosenhaltern leere Bierbüchsen und im Fußraum des Beifahrers Kartons mit gekühlten Bierdosen.
Durch das Kauen des Kerns mit dem „gedippten“ gelöschten Kalk färbt sich der Speichel rot und innerhalb weniger Minuten wirken die Alkaloide mit ihrem Hauptwirkstoff Arecolin und bescheren den Konsumenten mit einem Rausch, vergleichbar mit fünf schnellgetrunkenen Bieren, welcher mit steigenden Konsum immer heftiger wird. Im rituellen, traditionellen Kontext war das kauen der Betelnüsse nur Würdenträgern in Dorfgemeinschaften zu gewissen religiösen Anlässen erlaubt oder beim Empfang von Gästen aus anderen Dörfern. Kinder und Frauen waren von diesem Privileg ausgeschlossen. Durch die Landflucht entstand in den letzten 20 Jahren ein Umfeld des Konsum ausserhalb vom ritualisierten Konsum, der nun auch die Jüngsten und Frauen einschließt. Aus einer Droge für kulturelle Anlässe wurde eine 08/15-Freizeitbeschäftigung, wie das Rauchen von industriell gefertigten Zigaretten, welche bei regelmäßigem und steigendem Konsum selbstverständlich krebserregend sind und eine psychische Abhängigkeit erzeugen. Zu den Entzugserscheinungen gehören vor allem Lustlosigkeit und emotionale Verstimmung, die nicht nur die Produktivität, sondern vor allem das Wohlbefinden und Seelenheil der Betroffenen für einen langen Zeitraum beeinträchtigen. Abgesehen von den persönlichen Beeinträchtigungen ist das Ausspucken des roten Speichels ein Grund für die Verbreitung von Krankheiten. Wie man auf den Bildern sehen kann, wird quasi überall hingespuckt, sogar designierte „Rotz-Kartons“ stehen an den Straßenecken, um die Nuss-Schalen und Liter des roten Speichels aufzufangen. Der Stadtrat sieht sich selbst fast machtlos gegenüber der Überhand genommenen „Rotz-Problematik“. Das erschreckendste Beispiel ist der Fußgängertunnel gegenüber des „Central Markets“, wo sich nicht nur an den Wänden und dem kompletten Fußboden Fliegen an der roten Widerlichkeit erfreuen, sondern auch die Decke – wie auch immer das bewerkstellig wurde – durch ein rotes Fresko dekoriert ist.
Darüber hinaus ist die Mischung aus den Alkaloiden und dem gelöschten Kalk verheerend für Zahnfleisch und Zähne. Nach einigen Jahren des Konsums fangen die Zähne an sich zu verfärben, Zahnzwischenräume fangen an zu faulen und zum Schluss sterben die Nervenstränge ab und der dentale Kollaps führt zu einem eingefallenem Grinsen.
Die meisten meiner Interviewpartner wiesen mich darauf hin, dass die Inselbewohner ein Problem mit Maßlosigkeit hätten, was ich anfangs für etwas übertrieben oder abgedroschen hielt. Im Verlauf der Wochen erwies sich diese Beobachtung allerdings als nicht unberechtigt. Zu Beginn einer „Männerrunde“ werden alle mitgebrachten Beutestücke auf einem Tisch präsentiert und eine brummendes und befürwortendes „Ehemmmmmm...“ der Beteiligten dieser Runde sind oftmals das Startsignal eines Gelages, welches nicht mit der Vernichtung der edlen Gaben beendet zu sein scheint. Vielmehr kann man diese erste Begutachtung auch als „Appetizer“ verstehen. Ist der erste Akt vollbracht und ein jeder hat seinen Gefallen am Rauchwerk und Gerstensäftchen gefunden, wird die Finanzlage der Mitstreiter inspiziert und mittels des nächstmöglichen Fahrzeugs – wer errät's? – der nächste „bottle shop“ angesteuert um die feuchtfröhliche Runde nicht versiegen zu lassen. Dieser Vorgang wird ständig wiederholt.
Die meisten Menschen würden nun aufgrund ihrer Leber und Nierenkapazitäten ihre Insuffizienz zu dieser Runde kundtun und in weiser Voraussicht auf den kommenden Kater den Rückzug ins eigene Refugium deklarieren. Doch nun spricht die Kriegernatur der Salomonen aus dem tiefsten Innersten und verlangt die konsequente Weiterführung der oben beschriebenen Selbstzerstörung auf höchstem Niveau. Eine fast schon telepathische Kommunikationsform macht eine verbale Ausdrucksweise unnötig und so wird bis in die frühen Morgenstunden durch archaische Brummer und einzelne Aufstoßer jegliche philosophische Debatte erörtert. Der Gentleman von heute bevorzugt als Bettlektüre die Packungsbeilage von Ibuprofen.
Meines Erachtens darf man den Konsum von Betelnüssen, Dosenbier und Zigaretten nicht in einem all zu schlechten Licht betrachten, jedoch ist ein bewusster und verantwortungsvoller Konsum der Schlüssel, um langfristige Folgen für die Konsumenten auf ein Minimum zu reduzieren. Die Zielgruppe sollte in Fragen des Alters überdacht werden, wozu die Aufklärung der jungen Käufer und der Apell an die Verantwortung der Verkäufer gehört. Dies gilt ebenso für Alkohol und Zigaretten. In Fragen der Häufigkeit und Stärke des Konsums wird jeder seine eigene Antwort finden müssen, jedoch steht auch hier wieder die Aufklärung im Vordergrund, die sich in der Folge auf eine Mündigkeit der Konsumenten bezieht. Da die Salomonen in finanzieller Hinsicht noch kein lukrativer Markt für synthetische Drogen sind, könnte hier eine vorbereitende Aufklärung kommenden Problemen entgegentreten.
Kommentar schreiben
Kommentarfunktion deaktiviert