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Tschad: Die Veränderungen sind spürbar

Immer wieder erhebt Papst Franziskus seine Stimme und ruft zu einer Globalisierung der Solidarität und Nächstenliebe auf. In Zeiten von Corona bekommt dieser Appell eine neue Bedeutung. missio steht auch in diesen Zeiten der weltweiten Pandemie in engem Kontakt mit seinen Projektpartnern in Afrika, Asien und Ozeanien, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Dr. Marco Moerschbacher interviewt Mathias Naygotimti Bambé aus dem Tschad.

Inwiefern hat die Covid-19-Pandemie das Leben von Ihnen und den Menschen in Ihrer Nachbarschaft verändert?

Die Veränderungen, die diese Pandemie für die Menschen im Tschad mit sich gebracht hat, sind besonders im wirtschaftlichen und sozialen Bereich spürbar. Die Wirtschaft des Tschad hängt zu großen Teilen vom Import von Industrieprodukten und Nahrungsmitteln ab. Auf der anderen Seite exportiert der Tschad unter anderem Lebendvieh, Getreide und Öl. Aber die Schließung der tschadischen Grenzen zu den Nachbarländern hat diesen Austausch beeinträchtigt. Der Kreislauf von Waren und Dienstleistungen (wie Schuhputzen, Handyreparaturen u. ä.) spielt sich im informellen Sektor ab, den die Schließung der Märkte, der Läden und Verkaufsstellen (auch von Getränken) quasi zum Stillstand gebracht hat. Dies hat viele Frauen und Männer und Jugendliche, die sich in dem für viele Haushalte im Tschad so wichtigen informellen Sektor betätigt hatten, in die Arbeitslosigkeit geführt. Um die Folgen aufzufangen wurden Nahrungsmittel verteilt, aber diese Maßnahmen waren angesichts der Massen der betroffenen Menschen sowohl von der Reichweite als auch der Menge der verteilten Güter unzureichend. Sie sahen eher wie Imagemaßnahmen aus, die nicht von dem Willen, in Not geratenen Personen beizustehen, getragen waren.

Zu Beginn der Pandemie hat die Regierung sehr früh die Schulen und Universitäten geschlossen und Versammlungen verboten. Plötzlich saßen Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten zu Hause und drehten Däumchen, ohne so recht zu wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten. Dies hat manche von ihnen zum Konsum von lokal produzierten  oder von illegal aus den Nachbarländern importierten Alkohol (auch wenn die Verkaufsstellen offiziell geschlossen waren) gebracht, oder aber auch zum Drogenmissbrauch. Gerade in diesem Bereich konnte man eine verstärkte organisierte Kriminalität feststellen. Mehrere Dealer und Hintermänner wurden von den Sicherheitskräften verhaftet und pressewirksam der Öffentlichkeit präsentiert.

Eine diffuse Angst machte sich unter der Bevölkerung breit und manche Kranke weigerten sich, die Strukturen der Gesundheitsdienste zu nutzen, die vor der Pandemie stark frequentiert wurden.

Die Pandemie hat die Grundmuster des sozialen Zusammenhalts zerstört durch das Versammlungsverbot (Trauerfälle, Hochzeiten, Feste) und durch die Verbote, sich die Hände zu schütteln oder gemeinsam aus demselben Topf zu essen …. Die Todesanzeigen schließen nun mit folgenden Sätzen: „angesichts der Covid19-Pandemie und der sozialen Distanzmaßnahmen“ oder „wegen der Covid19-Pandemie und der von der Regierung verhängten Kontaktbeschränkungen werden Trauerbekundungen am Telefon unter folgender Nummer … entgegengenommen“. So etwas hat es im Tschad noch nicht gegeben. Wer im Todesfall eines nahe stehenden Menschen nicht an der Trauerfeier teilnahm, wurde öffentlich angeprangert! Trotz der durch Covid-19 erforderten Vorsicht, kann es passieren, dass jemand, dem ich nicht die Hand gegeben habe, mir droht, wenn ich es wagen sollte, ihm nach der Pandemie wieder die Hand entgegen zu strecken.

 

Welche weiteren Auswirkungen der Pandemie sind für Ihr Land in den nächsten Monaten zu erwarten?

Die aktuellen Zukunftssorgen kreisen um die Frage, wie wir wieder zu einer „normalen“ Situation zurückkehren können, die – daran sei hier noch einmal erinnert – auch vor der Pandemie in vielen Bereichen bereits eine schwierige war. Dem Bildungssystem gelang es kaum, den Schülerinnen und Schülern eine qualifizierte Bildung zu vermitteln – aufgrund der Kürze des akademischen Jahres, aufgrund von Streiks, einem niedrigen und weiter fallenden Niveau der Lehrveranstaltungen. Der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen wurde durch eine mangelnde Infrastruktur, fehlende technische Ausstattung und die geringe Zahl an zudem nicht ausreichend qualifiziertem Personal erschwert.

Wie kann man auch nur einigermaßen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen angesichts der Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Akteure, aus dieser Winterstarre herauszufinden und ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Angestellten und dem Staat nachzukommen? Es sei denn, der tschadische Staat käme ihnen zu Hilfe. Aber mit welchen Mitteln und wie lange? Da der Tschad seine Einnahmen hauptsächliche aus dem Ölexport generiert, müsste der Ölpreis wieder steigen. Sonst bleibt der tschadische Staat in seinen finanziellen Engpässen gefangen und kann den Verpflichtungen gegenüber seinen Funktionsträgern und Beamten nicht nachkommen. Diese hatten kurz zuvor ihren Streik nur beendet, weil der Staat ihnen zugesichert hatte, die strengen Sparmaßnahmen, die zur Lösung der Finanzkrise von 2016 verhängt worden waren, zurückzunehmen. Der Staat müsste also schnell mit Partner der Zivilgesellschaft Verhandlungen aufnehmen, die umso schwieriger werden, als dass diese Partner der Ansicht sind, dass die Finanzkrise nicht auf einen Mangel an Mitteln zurückzuführen war, sondern auf Korruption und eine schlechte Verwaltung der Mittel.

Nichtregierungsorganisationen, die sich der Entwicklung verschrieben haben, stehen ebenfalls vor Problemen, denn die wegen der Pandemie verhängten Maßnahmen machen es ihnen unmöglich, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, die sie mit externen Geldgebern eingegangen sind. Die Wiederaufnahme ihrer Aktivitäten hängt zu einem großen Teil von der Wiederaufnahme der finanziellen Zusammenarbeit mit den externen Partner ab. Hinzu kommt die Furcht vor langfristigen Kürzungen seitens der Geldgeber. In diesem Fall wären die Auswirkungen auf die Wirkung und Reichweite dieser Nichtregierungsorganisationen einschneidend. Denn unter den gegebenen Umständen denkt der tschadische Staat nicht daran, diese NGOs zu unterstützen, selbst wenn deren Beiträge im Bereich von Gesundheit und Bildung, also im Entwicklungsbereich unersetzlich sind. Eine weitere Gefahr für die Arbeit der NGOs sind von bestimmten politischen Bewegungen unterstützte Forderungen nach Gehaltserhöhungen.

 

Welche Bedeutung hat der christliche Glaube in diesen Zeiten der Pandemie?

Mit dieser Pandemie, die den ganzen Planeten erfasst hat, haben die Frauen und Männer aller Konfessionen im Tschad sich wieder ihrem Schöpfer zugewandt. Dabei folgen sie häufig einer einfachen Logik: „Wenn Covid-19 sogar bei den Weißen so viele Tote mit sich bringt, können wir, wir Armen, uns nur noch Gott anvertrauen.“ In den sozialen Medien zeugt die Vielzahl der Botschaften, in denen sich Einzelne Gott anvertrauen und seine Hilfe herabrufen, von der Angst der Menschen vor der Pandemie, aber auch von einem gewissen Anstieg religiöser Motive bei den Nutzerinnen und Nutzern der sozialen Medien. Trotz der verordneten Schließung der Gotteshäuser sind einige Kultstätten offen geblieben, so dass die Sicherheitskräfte die Schließung erzwingen mussten. Andere fordern die erneute Öffnung der Gotteshäuser, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, Gott um die Abwendung der Krankheit anzuflehen.

Foto: missio

Dr. Mathias Naygotimti Bambé ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Entwicklungsarbeit CEFOD in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Er ist Mitglied des missio-Netzwerks „Religion und Gewalt“ und war maßgeblich an der Studie „Religion und Gewalt. Fallstudie Tschad“ » (Missio-Menschenrechtsstudie Nr. 72) beteiligt.


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