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Nie war Vergebung wichtiger

Halbzeit unserer missio-Reise nach Papua-Neuguinea. Wir erleben zugewandte, gastfreundliche, offene und warmherzige Menschen. Uns begegnen einfache Gläubige, Ordensschwestern, Priester oder Bischöfe mit einer mitreißenden Ausstrahlung. In ihrer Gegenwart fühle ich mich einfach wohl. Mission at its best. Das ist die eine Seite. 

Dann zeigt uns Papua-Neuguinea sein anderes Gesicht. Im Hochland beobachte ich beispielsweise einen Mann, wie er mit einem vier- bis fünfjährigen Jungen aus dem Bus aussteigt. Vermutlich Vater und Sohn. Beide gehen einige Schritte. Scheinbar friedlich. Plötzlich fährt der Mann im wahrsten Sinne des Wortes aus seiner Haut. Unvermittelt schlägt er mit der flachen Hand auf den Kopf des Kindes. Es fällt. Der Mann tritt das Kind. Mitten ins Gesicht. Er schreit es an. Das Kind weint erbärmlich. Niemand der Umstehenden kümmert es. Auch wir fahren weiter.

Die Tageszeitungen sind voller Bericht über Gewalt

Am Montag schlage ich die beiden großen Tageszeitungen „The National“ und „Post-Courier“ auf. Auf den Titelseiten lese ich Berichte über tödliche Clankämpfe in der Provinz Enga in den Highlands. Der andere Aufmacher schildert die Vergewaltigung eines 16-jährigen und eines zwölf bis 14-jährigen Mädchens in Port Moresby am hellichten Tag. Die beiden mutmaßlichen Täter wurden gefasst. Sie saßen unbeteiligt in der Nähe eines der Opfer, rauchten eine Zigarette, kauten Betelnuss, eine Art Volksdroge, wie der Bericht lapidar vermerkt. 

Oder einer unserer Fahrer. Ich komme mit ihm ins Gespräch. Er weiß so viel über das Land und die Menschen. Er teilt sein Wissen mit Begeisterung. Auf einer der Fahrten sieht er ein Haus, ein schönes Haus. Wir stehen an einer Kreuzung. Er zeigt mit dem Finger darauf, sackt in sich zusammen. „So eines hatte ich auch. Das hat mich viel Arbeit und Geld gekostet. Sie haben es einfach abgefackelt. Sie haben meine Frau gefoltert. Wir mussten abhauen. Ich habe sieben Kinder, drei können nicht mehr bei mir leben,“ erzählt er mir. Der Grund: Seine Frau war von Männern in seinem Dorf der Hexerei verdächtigt und gefoltert worden. 

Die Folter von der Hexerei bezichtigter Frauen ist weit verbreitet

Er hat weiter Angst. „Drei Männer, die uns das angetan hatten, konnten gefasst werden. Sie kamen ins Gefängnis. Vor zwei Wochen konnten sie ausbrechen. Ich wünsche mir nur eines, dass sie bald wieder sitzen. Ich kann es nicht ertragen, dass sie frei sind“, verfinstert sich sein Gesicht. Es brodelt in ihm. Aber er hat sich im Griff. Die Folter von Frauen als angebliche Hexen ist sehr weit verbreitet. Ordensschwestern wie unsere Partnerin Schwester Lorena kümmern sich um die Betroffenen.

Woher aber rührt diese Gewaltbereitschaft? Unsere Gesprächspartnerinnen und Partner nennen viele Gründe. Beispielsweise gab es schon immer die (Un)-sitte, bestimmte Frauen als vermeintliche Hexen für Unglücke in der Familie und Dorfgemeinschaften verantwortlich zu machen. Neu aber ist die Grausamkeit, mit der das geschieht. Neu ist die Praxis, die Folter mit Smartphones aufzunehmen und die verstörenden Bilder in den Sozialen Medien zu posten. 

Digitaler Gewaltkonsum ist eine Ursache für neue Gewaltlust

Darin macht die Kommunikationsexpertin und Ordensschwester Daisy Ann Lisana SOCOM eine Ursache dieser neuen Gewaltlust aus. Kinder und Erwachsene konsumieren Gewaltvideos, Terrorvideos oder Pornographie. Sie wissen nicht, wie sie mit diesen Erfahrungen umgehen sollen. Das verroht sie. Schwester Daisy setzt auf Medienerziehung. Das muss dringend in die Lehrpläne der Schulen, fordert sie. Auch die katholische Kirche ist hier gefordert.

Andere Partnerinnen und Partner setzen auf kirchliche Familienarbeit. Es gibt in den Pfarreien Müttergruppen, Jugendgruppen, Frauengruppen, Gebetskreise, Sonntagsschule für die Kinder. Gemeindepfarrer, Schwestern oder respektierte Persönlichkeiten in der Gemeinde wollen das Bewusstsein der Menschen ändern. Sie sollen erkennen, wie sehr die verbreitete „Payback“-Mentalität, also das Prinzip „Auge um Auge, Zahn und Zahn“ Familien und Gesellschaft zerstört. Sie sollen Tugenden wie Respekt, Fairness oder die Fähigkeit der Vergebung lernen. „Diese Arbeit wird vermutlich noch Jahrzehnte brauchen, bis sich unsere Mentalität verändert hat, wir dürfen aber nicht nachlassen“, sagt ein Priester unter vier Augen. 

Warum kommen keine Männer zu den Vätergruppen in den Pfarreien?

Die Kirche setzt auch auf Vätergruppen in der Pfarreiarbeit, um die Männer zu erreichen. „Aber zu diesen Kursen kommen kaum Männer, sie sagen, sie müssen arbeiten, sie fühlen sich einfach nicht angesprochen, wenn es um Erziehung und Verantwortung in der Familie geht“, sagt Kardinal John Ribat, Erzbischof von Port Moresby. Sein Team will beharrlich weiter Vätergruppen aufbauen. 

Es gäbe noch viele Gründe für die Gewalt zu nennen, sagen unsere Partnerinnen und Partner. Armut, der toxische Männlichkeitskult, die Diskriminierung der Frau als Mensch zweiter Klasse, Drogen, Alkohol, Landstreitigkeiten, Traditionen, Korruption oder Arbeitslosigkeit. Jeder dieser Punkte ist eine Herausforderung für die Seelsorge und Sozialarbeit der Kirche in Papua-Neuguinea. 

Was mir aber bisher auf unserer Reise besonders aufgefallen ist: Mit welcher Verve und Kreativität die Seelsorgerinnen und Seelsorger den Menschen die christliche Tugend der Vergebung predigen und vorleben. Kein Gottesdienst, kein Kirchenbesuch, kein Gespräch, in der die Tugend der Vergebung und Barmherzigkeit keine Rolle spielt. Das habe ich nur an wenigen Orten der Welt erlebt. 


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