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Senegal: Weltkirchliche Solidarität in Zeiten von Corona

Immer wieder erhebt Papst Franziskus seine Stimme und ruft zu einer Globalisierung der Solidarität und Nächstenliebe auf. In Zeiten von Corona bekommt dieser Appell eine neue Bedeutung. missio steht auch in diesen Zeiten der weltweiten Pandemie in engem Kontakt mit seinen Projektpartnern in Afrika, Asien und Ozeanien, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Dr. Marco Moerschbacher befragte Anne Béatrice Faye zur aktuellen Situation im Senegal.

Inwiefern hat die COVID-19-Pandemie das Leben von Ihnen und den Menschen in Ihrer Nachbarschaft verändert?

Die Situation, wie wir sie erleben, ist absolut einzigartig. COVID-19 betrifft die ganze Welt und alle Kontinente, und Afrika bleibt nicht ausgespart. Wie sieht es mit dem Senegal aus? Die relativ geringe Anzahl von Toten (26. bis 18. Mai 2020) und die hohe Zahl der geheilten Personen (1.076 bei 2.544 verzeichneten Fällen) haben schon zu Überlegungen geführt, ob es so etwas wie die „Ausnahme Senegal“ gibt. Aber die Experten raten zu größter Vorsicht und beobachten mit Sorge die sogenannten „Gemeinschafts-Ansteckungen“, die man nicht mit bisher bekannten Verläufen vergleichen kann.

In jedem Fall hat diese Pandemie unser Leben und unsere Verhaltensweisen verändert, unsere Art, wie wir auf der Straße, in den Häusern, in den Kirchen und Moscheen, auf den Märkten auftreten, aber auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und sogar die Art und Weise, wie das Land regiert wird. Ja, im Senegal stellt COVID-19 unsere Traditionen und unsere Orte und Gelegenheiten des ungezwungenen Miteinanders auf den Kopf. Es hat uns aber paradoxerweise auch einander näher gebracht und zu einer besonderen Solidarität und zu bisher ungekannten Initiativen geführt.

Mitten in der Fastenzeit wird am 2. März 2020 im Senegal der erste Fall verzeichnet. Der Präsident der Republik Macky Sall erklärt: „Das bedeutet, dass wir unser Verhalten ändern müssen. Es bedeutet, dass die Krankheit nun unter uns ist.“ Die Feste um Ostern wie Aid al-Fitr (Ende des Ramadan) und Tabaski (Opferfest) sind eine wichtige Gelegenheit für Gemeinschaft und für die Stärkung des Zusammenhalts zwischen Muslimen und Christen im Senegal. Nach Todesfällen ist es nicht selten, dass Muslime an den Beerdigungsriten eines Verwandten oder eines Freundes teilnehmen. Aber jetzt können wir nicht einmal die uns nahestehenden Menschen auf diesem ihrem letzten Weg begleiten. Das gilt für alle Rituale und Zeremonien im Zusammenhang mit unseren Verstorbenen, denen wir diese letzte Ehre nicht erweisen können, um nicht das Leben anderer zu gefährden.

Das medizinische Personal und Pflegekräfte sind unermüdlich im Einsatz. Dank ihrer Dienstbereitschaft konnten viele Leben gerettet werden. Es bleibt unerlässlich, dass das Gesundheitssystem sich nicht mit der Meisterung der Pandemie begnügt, sondern dass diese als Chance begriffen wird, in das Gesundheitssystem im Senegal zu investieren, es weiter zu entwickeln, zu ertüchtigen und zu verbessern.

Welche weiteren Auswirkungen der Pandemie sind für Ihr Land in den nächsten Monaten zu erwarten?

Während sich der Kampf gegen Covid-19 jeden Tag abspielt, wird der Senegal wie alle Länder der Welt wirtschaftlich hart von der Krise getroffen. Die Regierenden stehen von Seiten der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Religionen unter Druck. Wie das Sprichwort sagt: „Ein leerer Bauch hat keine Ohren“ – die Menschen können nicht länger die vom Staat auferlegten Beschränkungen einhalten. Wer von einem Tag auf den anderen von der Hand in den Mund lebt, hat dringenden Bedarf, dass wieder eine Normalität eintritt. Die schwierige soziale Abwägung, die in den kommenden Monaten nötig sein wird, muss eine lange Dauer der Beschränkungen vermeiden. Um Aufstände zu verhindern, weil die Menschen sich aufgrund der Ausgangssperre keine Nahrung besorgen können, hat es der Staat vorgezogen, die Beschränkungen zu lockern – mit allen Risiken, die das mit sich bringt.

Im Senegal sind die Kinder, die man als „Straßenkinder“ bezeichnet jene, deren Familien teilweise oder ganz mit ihnen gebrochen haben und die meistens keine Perspektive der Rückkehr in ihre Familien mehr haben. Für diese Kinder ist die Straße Rahmen und Ort ihres Lebens. Das hat verschiedene Ursachen, unter anderem die Armut, die Zerstörung von Familienverhältnissen, Probleme im Umfeld von Bettelei und Kinderarbeit, das Phänomen einer Verstädterung mit wachsender Disparität usw.

Diese Straßenkinder sind durch das Virus besonders gefährdet. Sie sind durch ihre Mobilität und ihre soziale Exposition einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Im Falle einer Ansteckung werden sie die Krankheit weit verbreiten. Bei Covid-19 dürfte es also null Straßenkinder geben. Das wiederum bedeutet, dass diese Kinder in ihre Ursprungsfamilien zurückkehren und dort von ihren Eltern bzw. Verwandten betreut werden müssten.

Welche Bedeutung hat der christliche Glaube in diesen Zeiten der Pandemie?

Im Senegal, wo die Katholiken nur fünf oder sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist der Glaube das bevorzugte Gut, das wir mit unseren Schwestern und Brüdern der traditionellen Religion und des muslimischen Glaubens verbindet. Seit dem Ausbruch der Pandemie zeigt sich im ganzen Land viel spirituelle Kreativität und Kraft. Daran haben auch die christlichen Gemeinschaften ihren Anteil.

Es werden Gebete für die Opfer, für die im Gesundheitsdienst tätigen Personen und für die am meisten gefährdeten Menschen formuliert. In den Familien, in den Kirchen, gemeinsam oder alleine – mit einer Stimme werden wir nicht müde, Gottes Barmherzigkeit anzurufen. Noch nie da gewesene Zeichen verbinden die Kontinente, die Religionen und Kirchen – mit Hilfe der Medien. Vereint haben wird für jene gebetet, die unter den Folgen der aktuellen Pandemie leiden. Möge Gott unser Vater den Kranken Gesundheit schenken, den Pflegekräften Stärke, den Familien Trost und allen Verstorbenen das Heil.

Allein der Glaube verleiht uns die Kraft zu sagen: „Denn der Herr hat Erbarmen mit Sion, er hat Erbarmen mit all seinen Ruinen. Seine Wüste macht er wie Eden, seine Öde wie den Garten des Herrn. Freude und Fröhlichkeit findet man dort, Lobpreis und den Klang von Liedern“ (Jes 61,3).

Diese Pandemie macht unsere Gewissheiten rissig, deckt unsere Zerbrechlichkeit auf, hinterfragt die Werte- und Glaubenssysteme und zerschlägt die besten Sicherheitssysteme. Sie unterscheidet neu zwischen dem Wesentlichen und dem Überflüssigen, zwischen dem Notwendigen und dem Kontingenten, dem Wichtigen und dem Unnützen. Sie unterstreicht zudem die kontinentalen, regionalen und örtlichen Besonderheiten. 

Foto: missio
Anne Béatrice Faye ist senegalesische Ordensschwester und unterrichtet Philosophie im interdiözesanen Priesterseminar und am Institut St. Augustin in Dakar, Senegal. Sie ist Mitglied im missio-Netzwerk „Religion und Gewalt“ und arbeitet in dem Forschungsprojekt „Vatican II – Legacy and Mandate“ mit, das in Kooperation mit missio realisiert wird.

Im Netzwerk „Religion und Gewalt“ » fördert missio wir die Vernetzung der Theologie in Afrika und geht der Frage nach, auf welche Ursachen die Gewalt unter den Angehörigen verschiedener Religionen zurückzuführen ist.


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Konrad "Konii" Bachmeyer | 4. Juni 2020 | 07:02 Uhr

Guten Morgen mein Leben und Freunde und Familien, wir von der Sankt Johannes Sippe VCP Trebgast haben seit 2008 viele Kontakte und Projekte im Senegal, tagtäglich lesen wir die Nachrichten und tauschen uns aus. Leider können wir zur Zeit keine Hilfsgüter aller Art zu unseren Freunden und Partnern senden. Aber gut, Geduld ist unsere Stärke.